Die deutschen Denker an die deutschen Dichter

 

Wohl reiht ihr Reim an Reime

Und fügt zum Wort das Wort,

Doch eurer Saaten Keime

Uns dünken sie verdorrt –

Verdorrt, noch eh die Sichel

Der Zeit sie jäh durchkracht

Und so dem deutschen Michel

Die Arbeit leichter macht.

Denn ach, euch ging verloren

Der Dinge Gang und Grund,

Ihr hört mit tauben Ohren

Und sprecht mit stummem Mund.

Doch wehe eurer Scheitel

Am Tage des Gerichts,

Denn was ihr singt ist eitel,

Und was ihr sagt ist nichts!

Und doch, ging je vor Zeiten

Der Sänger mit dem Sieg,

Dann gilt es heut zu streiten

In einem heilgen Krieg.

Denn nicht um Hof und Heerde

Schlägt unser Herz und schwillt:

Heut ist’s die ganze Erde,

Der unser Sterben gilt!

Seit Urbeginn schon gährte

Es tief im Schooss der Zeit

Und jede Stunde nährte

Den grausen Widerstreit.

Doch heute erst entrauchte

Die Lohe ihrem Schacht

Und blutig überhauchte

Sie das Gewölk der Nacht.

Und weh, das Glück zerschellte,

Was ganz war, brach entzwei,

Und durch die Lande gellte

Ein einzig lauter Schrei.

Mit Mehlthau übernetzte

Das Feld sich weit und breit

Und es begann der letzte,

Der Bürgerkrieg der Zeit.

Nun rast er durch die Auen

Und spielt sein wildes Spiel

Und uns durchrinnt ein Grauen,

Bedenken wir sein Ziel.

Die Tafel der Gesetze

Zerbarst wie sprödes Glas,

Die Tugend ward zur Metze,

Die Liebe ward zum Hass.

Die Wahrheit liegt im Staube,

Die Hoffnung sitzt und weint,

Gestorben ist der Glaube

Und ach, das Herz versteint!

Des Wahnsinns Schlangen zischen

Und Alp thürmt sich auf Alp

Und wüst erschallt dazwischen

Der Tanz ums goldne Kalb.

Doch nahn schon Gottes Boten

Und ihre Stimme spricht:

Lebendig sind die Todten

Und nahe das Gericht!

Der Erdball wankt und zittert,

Des Himmels Wolken drohn

Und durch die Lande wittert

Der Hauch des Todes schon.[74]

Ihr aber, die zu Wächtern

Des Heiligthums bestellt,

Ihr habt euch den Verächtern

Des Himmels zugesellt;

Denn wenn der Donner rollte,

Verschlosst ihr euer Ohr,

Und wenn die Brandung grollte,

Wer war’s, der sie beschwor?

Ihr stammelt wie die Kinder,

Dass niemand euch versteht,

Und jeder Reimverbinder

Ist heute ein: Poet!

Sich selbst singt er im Liede

Und macht es sich bequem,

Als wäre der ewige Friede

Schon mehr als ein Problem!

Doch nun genug der Schande,

Auf, auf! und greift zur Wehr

Und wandert durch die Lande

Und rudert übers Meer!

Streift ab die blumigen Ketten

Und folgt uns in den Krieg,

Denn noch sind sie zu retten

Die Ehre und der Sieg!

Und dräut auch manche Wolke

Euch schwarz am Horizont,

O haltet treu zum Volke,

Ihr habt’s noch nie gekonnt!

Nach ihm streckt seine Krallen

Siebenfach die Noth;

Der schrecklichste von allen

Ist doch der Kampf ums Brot!

Zerknechtet und zerknetet,

Es kennt sich selber nicht;

Drum singt und wacht und betet:

Mehr Licht, o Gott, mehr Licht!

Und kehrt der Friede wieder

Dereinst nach Kampf und Streit,

Dann singt: Das Lied der Lieder,

Das ist das Lied der Zeit!

 

 

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Arno Holz, Porträt von Erich Büttner (1916

Den Essay „Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze“ lesen Sie hier. Eine Rezension von Kurt Tucholsky hier und eine weitere Würdigung hier.

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

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