Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässen und Verwandtschaftsverhältnissen beantragt werden. Genehmigungen für Reisen werden kurzfristig erteilt und nur in besonderen Ausnahmefällen verweigert. Sofort können Personen, die die DDR verlassen wollen, Visa für ständige Ausreisen bekommen. Diese Regelung gilt mit sofortiger Wirkung bis zum Inkrafttreten eines neuen Reisegesetzes.
Günter Schabowski
Als A.J. Weigoni in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 mit zwei Cassetten-Recordern und einem VHS-Videorecorder begann, O-Töne mitzuschneiden und sich Notizen zu machen, ahnte er nicht, daß es für seinen ersten Roman einen Zeitraum von 25 Jahren schriftstellerischer Arbeit vor sich hatte. Er ahnte Weigoni, welche Zähigkeit er würde aufbringen müssen, um den Glauben an sich nicht zu verlieren. Jahrelang kamen seine Manuskripte regelmäßig zurück, er aber schrieb unverdrossen weiter, schrieb Gedichte, Hörspiele und Prosatexte. Seine Arbeiten gelten als ‚schwierig’, als anspielungsreich und subtil, nicht eben Eigenschaften, die im verflachenden Literaturbetrieb angesagt sind. Er ist immer die langen Wege gegangen, seine kritische Stoßrichtung braucht einen etwas entfernteren Standpunkt, um ihre Wirkung voll zu entfalten. Weigoni hat seinen Beruf in jahrzehntelanger Anstrengung erlernt, was ihm gelungen ist und was mißglückt, das weiß er besser als beamtete Besserwisser. Dieses System kann ohne seine Reservate ästhetischer Zähigkeit, Widerständigkeit und Wachheit nicht überleben. Seine geistige Heimat ist dort, wo das denkerische Wort poetisch durchtränkt ist und das poetische Wort durchdacht ist.
Der Leser wird von Weigoni als Homme de Lettres geachtet und nicht zum bloßen Buchabnehmer degradiert, dem marktschreierisch die üblichen Verdächtigen aus den Bestsellerlisten aufgeschwätzt werden. Das Wort „Verbraucher“, das von den renditefixierten Buchhandelskonzernen gerne benutzt wird, verrät mehr, als diesen Event-Vermarktern lieb sein kann: Gute Literatur verbraucht sich nicht „zu verkaufen“, der gebildete Leser schert sich um kein Verfallsdatum, daher darf man ihm auch eine Anstrengung zumuten. Es ist nicht einzusehen, daß der Roman Abgeschlossenes Sammelgebiet, an dem Weigoni 25 Jahre lang gearbeitet hat, schon nach einer Buchsaison auf den Grabbeltischen des modernen Antiquariats landet. Der herabgesetzte Preis eines Werkes geht schließlich immer auch mit der Herabwürdigung seines Verfassers einher: nur die verkaufte Auflagenzahl, nicht aber die Qualität seiner Arbeit wird hier bewertet. Einen Schriftsteller wie Weigoni als ein Glied in der Wertschöpfungskette zu erachten, verfehlt das Wesen von Literatur. Wenn das intellektuelle Niveau steigt, sinkt bekanntlich der Marktwert, weil sich das Leserpotenzial verringert. Wer also gehobenen Ansprüchen gerecht werden will, muss Literatur als etwas Höheres begreifen und nicht bloß als Handelsware. Autoren, die keine Massenauflage erreichen können, müssen eben finanziell gestützt, Kleinverlage wie die Edition Das Labor, die den Mut haben, solche schwierigen Bücher zu drucken, gefördert werden. Denn sie schaffen ein ideelles Kulturgut, das sich für die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht auszahlt, wenn auch nicht zwingend in barer Münze.
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Abgeschlossenes Sammelgebiet, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2014 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover
Weiterführend → Zur historischen Abfolge, eine Einführung. Den Klappentext, den Phillip Boa für diesen Roman schrieb lesen Sie hier. Eine Rezension von Jo Weiß findet sich hier. Einen Essay von Regine Müller lesen Sie hier. Beim vordenker entdeckt Constanze Schmidt in diesem Roman einen Dreiklang. Auf der vom Netz gegangenen Fixpoetry arbeitet Margretha Schnarhelt einen Vergleich zwischen A.J. Weigoni und Haruki Murakami heraus. Eine weitere Parallele zu Jahrestage von Uwe Johnson wird hier gezogen. Die Dualität des Erscheinens mit Lutz Seilers “Kruso” wird hier thematisiert. In der Neuen Rheinischen Zeitung würdigt Karl Feldkamp wie A.J. Weigoni in seinem ersten Roman den Leser zu Hochgenuss verführt.