Flughäfen – der vermutete Maßstab zuhause oder wo ist zuhause Mama
Antwort auf einen Text von J.H.
So sitze ich einmal mehr in meinem Arbeitszimmer am Schreibtisch, genieße den Ausblick aus der architektonisch eigenwillig gestalteten Fenstergaube und denke für einen Augenblick darüber nach, ob die mit dem vorherigen Attribut gestaltete Architektur durchaus mit der bei mir vermuteten Eigenwilligkeit meiner Person korrespondiert. In dieser Wahrnehmung fühle ich mich für diesem bemerkten Augenblick wohl. Doch schiebt mich meine kurze Überlegung zu einer weiteren, grundsätzlichen Frage. Hat irgendeine Form und Gestaltung irgendeiner Behausung unauflöslich mit gefühlmäßigen Befindlichkeiten in unserem Leben zu tun. Oder ist letzteres nicht völlig beliebig in andere überdachte Schutzräume zu transportieren? Ich gerate in diese Frage nicht von ungefähr – gehört ihre Klärung doch zum Bestandteil der mir aufgetragenen Aufgabe.
Die Gestaltung der Glaube lenkt meinen Blick durch drei gleichförmige Teile in den anbrechenden Tag. Dieser scheint sich frühlingshaft einen blauen Minirock überstreifen zu wollen, so daß wir nach der bestrumpften Winterenge wieder dem Leben unter die Röcke sehen können.
In dieser heiteren Wahrnehmung möchte ich die mir aufgetragene Aufgabe mit dieser gebührenden Leichtigkeit angehen, die jede mahnende, korrigierende und besserwisserische Betrachtung verhindern soll. Ich hoffe und wünsche mir, daß mein Auftraggeber mit der Erkenntnis gesegnet ist, wie schwierig es ist, einen fremden, aber dann doch anvertrauten Text adäquat zu „behandeln“. Denn eine Bewertung steht keinem an, der mit der Bewertung der eigenen sprachlichen Bemühungen schon Schwierigkeiten genug hat. Man wird ja an einem vermuteten Maßstab gemessen, den man selbst bei sich befragt.
Ich bin mir nicht sicher, ob eine gewaltige und mit irrwitzigen Perspektiven ausgestattete Architektur Leere und Hektik geradezu, als zwangsläufig beherbergt. Wobei beherbergt bereits das falsche Wort ist, da eine Herberge zunächst Schutz anbietet. Das Wort zuhause schlummert schon im Hintergrund. Leere und Hektik wird vielleicht hier sichtbarer, da an ihnen eine unüberschaubare Menge von Leuten beteiligt ist, die in ihrer Summe gerade dies vermitteln können. Auf Flughäfen sind vielleicht alle heimatlos – auf dem Weg zu einer wie auch immer gearteten Ankunft. Vielleicht sind einige von ihnen unterwegs zu ihrem „Styling“ und „Make off“, um nach einem „Work out“ ihr Anliegen besser „Performen“ zu können. Der „Sun-downer“ bei der „After-work-party“ ist hier sicherlich hilfreich. Kein Wunder also, daß alle so „busy“ und nicht wirklich „amused“ sind. In jedem Fall haben die meisten diesen anglizistischen Sprachsalat verdient, der mit einer gedanklich verwässerten Vinaigrette angerichtet ihnen nicht einmal seelisches Sodbrennen verursacht. Sind sie nicht selbst die Voraussetzung ihrer Ziellosigkeit. Laß sie reisen und sich mit ihrer längst ins Banale abgedrifteten Lebenswichtigkeit kopulieren. Sie gebären sich selbst als Zerrbilder vormaliger Ideal und Wertigkeiten. Würde man den Zynismus nicht diesen Gebrauchsattentätern überlassen, könnte man ihn trefflich mit dem Bemerken anwenden: sie haben sich alle verdient. Aber unser humanistisches Seelenzwicken zwingt uns zu einer mehr gütigen Betrachtung, die sich mehr um Fragen nach der Notwendigkeit und den Voraussetzungen dieser Verkümmerung rankt. Es heißt so schön „Reisende soll man nicht aufhalten“. In der Tat scheint das Heer der Wohlstandsverwahrlosten und im wesentlichen Sinne Heimatlosen zu einer Horde unberechenbarer Frohlinge und Scheinglückseligen anzuwachsen. Sie sind nach so vielen Seiten offen, daß sie keine mehr in sich berühren. In allen Möglichkeiten, die sie sich scheinbar erobern, so, wie man offene Türen einrennt, glauben sie, ihre Individualität anzureichern, um sie recht eigentlich aufzugeben. Die dies alles beobachtenden Psychologen und Soziologen sind längst die milde Falte selbst in ihrem süffisanten Mundwinkel geworden. Fernsehgerecht meinungsfrisiert spielen sie die Probleme, von denen man dann vermuten kann, daß es sie wirklich gibt.
Der mir vorliegende Text ist im wahrsten Sinne recht aussichtslos, sein Blick hat sich eine gütige Betrachtung sozusagen „abgeschminkt“. Doch wirft er auch ein kleines, aber gewichtiges Bemerken weit hinaus zu einem Gedanken, für den es noch keine angemessene Architektur gibt, da er sich bequemt, in unserer Seele seine Heimat zu begründen: zuhause.
Es scheint so treffend und schön zugleich „wir sind immer unterwegs. Nach Hause.“ Auch E.T. wollte, wenn ich mich recht erinnere, nach Hause.
Ich denke, so etwas Wesentliches läßt den Begriff „trivial“ erst gar nicht an sich heran. Trivial erscheint er vielleicht dem Pseudo-Weltenbummlern der heutigen Zeit, die in ihrem ständigen Unterwegssein in neue Ablenkungen genau das fliehen, das sie in ihrem ungeordneten Vorwärtstrieb längst verloren haben. Aber auch sie tragen diesen Gedanken in sich – vielleicht wie ein kitschiges Lied, das sie zu Tränen rührt, die man aber wiederum nicht zu zeigen wagt. Man ist halt zu „taff“ und Gerührtheiten haben nur noch Geltung im Swingerclub der promiskuitiven Pubertätsalten.
Aber seien wir gerecht – auch streunende Hunde brauchen einen Ort, an den sie zurückkehren können. So bemängelt der Text, wenn ich dies bemerken darf wohl eher den Mangel an gedanklichem Bewußtsein um diese Heimatform und nicht ihr zu vermutendes Dasein.
Ich erlaube mir eine Frage an den Verfasser. Ist er in der Wahrnehmung seiner Beobachtungen zuhause oder betrachtet er sie als Fremder einer sich immer unbehauster gestaltenden Welt. Läßt er dies offen in dem letzten geschriebenen Wort: Optimist …?
Versteckt sich hier die Ahnung, das eigene Ziel seiner Beschreibung selbst zu verfehlen? Oder bereits verloren zu haben?
Oder ist dies lediglich ein kluges Kokettieren mit einem Thema, das in der Passage eines internationalen Flughafens so zu Hause ist, wie der Teufel im Beichtstuhl? In jedem Falle kann man bei einem solchen Gedanken tatsächlich nach Hause kommen. Ist dies nicht eine beruhigende Aussicht? In keinem Fall sollte man sich für die Gedanken, die man hierbei entwickelt, entschuldigen. Sie langweilen weniger als das gesamte schreiende Angebot aufgesetzter Themen und Problemchen, mit der sich eine zunehmende Zahl von Menschen in die dürftige Nähe ihrer Wahrnehmung stottert. Diese Enthausten hocken längst im universalen Container und werden für ihre debilen Absonderungen auch noch belohnt. Diese Behausung ist zumindest architektonisch adäquat gestaltet. Denn sie gestattet uns den Einblick in sich immer mehr verabschiedende Wertigkeiten, die sich auf eine kleine Wahrnehmung konzentrieren ließen: In und zu Hause sein. In diesem Sinne: Gute Ankunft.
***
Weiterfühend →
Lesen Sie auch den Nachruf über Peter Meilchens Lebenswerk und den Essay 50 Jahre Krumscheid / Meilchen über die Retrospektive im Kunstverein Linz.