Minimal-Pop

Klammheimlich erzeugten YMG mehr Düsternis und Angst als jeder drogenwirre Punk: Stattons abgeklärter Gesang straft den Herzschmerz von Moxhams Liedern aufs Befremdlichste Lügen. Nur diese eine Platte – und man kann Jahre mit der Analyse ihrer Geheimnisse und ihrer todunglücklichen Schönheit vor dem Plattenspieler zubringen.

Ken Tayler

Nachdem Punk die Pop-Musik 1977 auf Null gesetzt hat, gab es keine klassischen Zuschreibungen mehr. Die Musik der aus dem walisischen Cardiff stammenden Band wird abseits der Hochburg London als Lo-Fi oder Post-Punk gehandelt. Eine fast schon beleidigende Zuschreibung für diesen betörenden Minimal-Pop.

Die Young Marble Giants wurden 1978 von der Sängerin Alison Statton und den Brüdern Philip (Bass) und Stuart Moxham (Gitarre und Orgel) gegründet. Sie unterschrieben im selben Jahr bei dem frisch gegründeten Independent-Label Rough Trade Records einen Plattenvertrag.

Alison Statton sang so, als würde sie an einer Haltestelle auf einen Buss warten. Ebenso unangeregt und beiläufig klingen ihre Begleitmusiker.

Die Gruppe schlug einen Weg ein, der sich radikal sowohl von gängigen Pop-Entwürfen unterschied als auch von der gitarrenlastigen lauten Ästhetik, die den sogenannten Underground dominierte. Sie hatten kein Interesse, dem Drei-Akkord-Imperativ zu gehorchen, und wollten lieber ihr eigenes Ding machen: Do It Yourself, musikalisch wie ökonomisch. Mit spärlicher Instrumentierung und einem selbstgebauten, auf Loops basierenden Drumcomputer gelang es Young Marble Giants, ein ungewöhnliches, in seinem Minimalismus und Anti-Rockismus auffälliges Klangbild zu erschaffen.

1980 erschien die Debüt-LP Colossal Youth. Die Produktion kostete lediglich £1.000, man beschränkte sich auf eine E-Gitarre und eine elekrische Orgel, E-Bass und einen Drumcomputer, der rythmische Klangtupfer setzte. Außerdem diente ein Endlostonband als weitere Soundquelle. Gerade einmal fünf Tage brauchte die Combo, um das Album aufzunehmen. Diese Schallplatte ist eine der wenigen vom ersten bis zum letzten Stück perfekten Platten dieser Zeit; es gelangen den Musikern aufs nötigste reduzierte Songs, in einer larmoyanzlos-melancholischen Art von entwaffnender Schönheit. Kein Gramm Klang zu viel, alles feste musikalische Substanz. Die Wiederveröffentlichung auf CD bieten den Nachgeborenen verblüffend großartige Klänge.

Obwohl es das einzige Album von Young Marble Giants ist, gilt Colossal Youth aus dem Jahr 1980 als Meilenstein. Um das Album zu promoten tourten sie durch Europa und die USA. Es erschien noch die Single Final Day und die Instrumental-EP Testcard, dann löste sich die Gruppe auf. Bei manchen Künstlern besteht die Einsicht, dass man auch mit wenigem ALLES sagen kann. Und vor allem, wann man wieder schweigen sollte.

 

 

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Colossal Youth, von Young Marble Giants, 1980 (nun bei Rough trade Records auf CD erhältlich)

Weiterführend

Der „Ratinger Hof“ bildete in Düsseldorf eine subkulturelle Scharnierstelle. Die Rheinmetropole war so etwas wie die heimliche Hauptstadt der alten BRD, im Bermuda-Dreieck zwischen der Uel, dem Einhorn und dem Ratinger Hof traf man auf geballte Zeitgeist–Kompetenz. Lesen Sie auch über Kraftwerk Pop mit Pensionsanspruch.