ALKOHOLISIERTES LIED IN KIRCHENTONART

 

Ich traf sie am tresen sie war schlimm dran

sie hatt es arm dier*   und ich bin ein mann

Ich ließ sie nicht stehn und

sie ließ mich nicht gehen

und dann standen wir beide im grappagespann

Das war in ner spielbar wo keiner gewinnt

Sie sagte zu mir: mein junge ich find

du drehs ganz schön auf

da kann ich schon drauf

aber warte bis wir alleine sind

Sie kippte so sechs sieben Ballantine und

die nacht war hell und der mond war rund

Die gute frau

war mehr für schabau*

als gut für sie war auf dem Kleinen Hund

Ich sagte mir: wer ist das frischere aas

was wartest du noch auf weitere jaas

da rückte sie her

und schlürfte mich leer

und dann warfen wir beide uns beiden zum fraß

Sie sagte: junge ich bin bereit

für erdenstaub und für seligkeit

Komm trinken wir noch

wir sterben ja doch

und sonst ist keiner der uns was leiht

Ich sagte: verdammt noch mal kind du wars

en ungeküßtes Mariechen vom Mars

Der Mars is zu kalt

Den mann hast du bald

so weit der wirft leine kommt längsseits und dwars*

Sie trug einen ring: gibt’s anders wen?

en zocker   sagt sie   und ich liebte den

eine nacht und ein früh-

stück dann war er perdu

Seitdem hat mich keiner mehr nüchtern gesehen

Das sagte sie mir auf dem weg nach haus:

es macht mir nichts aus und mach dir nichts draus

ein mann eine nacht

so wird das gemacht

eine flasche trinkt man nur einmal aus

 

 

***

Rohlieder I – X von HEL

HEL ist bekannt als Herausgeber neuer Talente im „literarischen Underground“ und Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. In diesen Gedichten spürt HEL das Existenzielle im vermeintlich Banalen auf. Er hat es hat es nicht nötig, Fiktion zu erfinden … die Fiktion existiert bereits.

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Ein faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Zur Lyrik von HEL findet sich hier ein Rezensionsessay von Holger Benkel. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.

Anmerkungen:

Hab ne melodie dazu, sing ich ausm kopf

hatt es arm dier = „hatte das arme tier, war depri“

schabau = „rheinisch, indisch: schnaps, klarer, fusel“ [indisch hier: Sprachgebrauch im Gebiet der Inde (Fluß)]

dwars = „querab vom schiff“

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