Zerknautschte Jungfrau mit den Hängebrüsten,
Gedenkst du noch? Ich traf dich in der Tram.
Und wie wir uns am Lützowplatze küßten?
Ein Schutzmann schob sich drohend übern Damm.
»Natur! Natur! für fünf Mark siebzig!
»Das Männchen schenkt … das Weibchen winkt …
»Man träumt nicht erst und stellt verliebt sich …
»Tja! Wir sind ehrlich zum Instinkt.«
Doch ach! Sie fand, es sei zu billig,
Das hat sie vor ihr selbst geniert.
Er – hat in ihres Hemdes Drülich
Von Seidenhöschen phantasiert.
Darauf, obzwar auf der Treppe vor einem
Tripper noch düstere Angst ihn durchfuhr,
Schwor er ohne Reue Treue
Dennoch nochmals trotzig seinem
Losungswort Natur! Natur!
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Jakob van Hoddis (Geburtsname Hans Davidsohn; * 16. Mai 1887 in Berlin; † 1942 in Sobibór, „Generalgouvernement“) war ein deutscher Dichter des literarischen Expressionismus. Er ist besonders bekannt für das Gedicht Weltende, ein Werk aus der Anfangszeit des Expressionismus. KUNO möchte den Lyriker nicht auf dieses One–Hit–Wonder reduziert wissen. 70 weitere Gedichte erschienen in den Avantgardezeitschriften Die Aktion und Der Sturm. Sein lyrisches Werk ist vor allem gekennzeichnet durch starke Chiffrenhaftigkeit und dadaistische Elemente. Viele seiner Gedichte zeigen einen skurril-grotesken Inhalt, vermischt mit naiven und schwarz-humoristischen Formulierungen.