Was wir unter abstrakter Kunst verstehen

 

Was heute von abstrakter Kunst existiert, ist nicht viel und das Existierende ist Stückwerk [, Pfahlbauten] und Gestammel. Es ist der Versuch [und die Sehnsucht, die Welt nicht mehr mit dem menschlichen Auge anzusehen und darzustellen, sondern] die Welt selbst zum Reden zu bringen. Der [klassische Mensch] Grieche, Gotiker und Renaissancekünstler stellte die Welt künstlerisch dar wie er sie sah, wie er sie fühlte, wie er sie wollte; der Mensch früherer Zeiten wollte durch die Kunst vor allem sich behaupten; er hat auch erreicht was er wollte, – er hat aber auch alles dafür hingegeben, alles hat er dem einen Ziel geopfert: den homunculus zu konstruieren, die [göttliche] Kraft durch das Präparat zu ersetzen, Geist durch Technik. Der Affe äffte [die Gottheit] seinen Schöpfer nach. Selbst die Kunst zwang er zu seinen Handlangerdiensten. [Die Zeiten sind erfüllt;] der Berg ist erklommen. Der Gipfel ist eine Öde, in der sich der Mensch nicht lange aufhalten wird. Wir leben schon auf der »anderen Seite«, auf der Seite der Nichteitelkeit, [des Nicht-»könnens«, des Nicht-»wissens«,] der Nicht-Anwendung des Wissens. Das Können und das Wissen tragen wir in uns; tonlos; über die Technik des Daseins redet der Edle nicht. Nur das Eine muß geschehen: Die Befreiung der Kunst [, die Befreiung des Edlen vom Gemeinen] aus ihrer [utilitarischen] Maskierung. Die Kunst ist heute nicht mehr dazu da, den Menschen zu großen oder kleinen Vorwänden zu dienen. Die Kunst ist metaphysisch, wird es sein; sie kann es erst heute sein. Die Kunst wird sich von Menschenzwecken und Menschenwollen befreien. Wir werden nicht mehr den Wald oder das Pferd malen, wie sie uns gefallen oder scheinen, sondern wie sie wirklich sind, wie sich der Wald oder das Pferd selbst fühlen, ihr [abstraktes] absolutes Wesen, das hinter dem Schein lebt, den wir nur sehen; es wird uns soweit gelingen, als es uns gelingt, den λογος von Jahrtausenden [vergessen] beim künstlerischen Schaffen zu überwinden. Alles künstlerische Schaffen ist a-logisch. Es gibt künstlerische Formen, die abstrakt sind, mit Menschenwissen unbeweisbar; sie hat es zu allen Zeiten gegeben, aber stets wurden sie getrübt von Menschenwissen, Menschenwollen [, von Zwecken]. Der Glaube an die Kunst an sich fehlte, wir wollen ihn aufrichten; er lebt auf der »anderen Seite«.

 

 

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Erinnerung wird zunehmend auf neue Technologien ausgelagert. Das Grundproblem der Erinnerungskultur (siehe auch: In eigener Sache), der Zeugenschaft, der Autorschaft, ist die Frage: Wer erzählt, wer verarbeitet, wem eine Geschichte gehört? – „Kultur schafft und ist Kommunikation, Kultur lebt von der Kommunikation der Interessierten.“, schreibt Haimo Hieronymus in einem der Gründungstexte von KUNO. Die ausführliche Chronik des Projekts Das Labor lesen sie hier. Diese Ausgrabungsstätte für die Zukunft ist seit 2009 ein Label, die Edition Das Labor. Diese Edition arbeitet ohne Kapital, zuweilen mit Kapitälchen, meist mit einer großen künstlerischen Spekulationskraft. Eine Übersicht über die in diesem Labor seither realisierten Künstlerbücher, Bücher und Hörbücher finden Sie hier.

Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.