Die Kombination aus Verrücktheit, innigen Texten und gespenstischer Instrumentierung ergibt ein großartiges Album und eine Gelegenheit, Tom Waits neu zu entdecken.
Don Shewey, Rolling Stone
Tom Waits wollte nicht mehr über betrunkene Pianos schreiben, also wagte er einen Bruch, nachdem ein wahrscheinlich zu viel Platten von Captain Beefheart gehört hatte und herauskam mit Swordfishtrombones etwas, dass nicht unter dem Namen Bastard-Pop in die Musikgeschichte eingegangen ist. Der ungewöhnliche Titel formte sich ihm beim Betrachten eines Alphabet-Bilderbuchs mit seiner Tochter. Auf der linken Seite wurde der Buchstabe „S“ mittels „Swordfish“ vorgestellt, auf der rechten gab „Trombone“ das Beispiel für den „T“-Anlaut.
Im April 1982 spielte Waits dem Vertreter seines damaligen Verlags Elektra-Asylum die Demo-Versionen von Frank’s Wild Years, 16 Shells From a Thirty-Ought Six und Shore Leave vor. Dieser lehnte die Aufnahme solch experimenteller und unkonventioneller Musik ab. Waits beschloss trotzdem, das Album aufzunehmen. Es wurde anschließend von Island Records veröffentlicht, dessen Chef sich als offener gegenüber Waits’ Experimentierfreude erwies. Es entstand ein rumpelndes Werk voll songschreiberischer Grandezza.
Mit Swordfishtrombones betritt Waits eine surrealistische Unterwelt. Es ist der Klang eines Mannes, der die Sicherheit der Erwartungen hinter sich ließ und sich auf eine neue, seltsame Reise begab. Aus der eröffnenden Marimba und dem Horn von „Underground“ wird deutlich, dass der Tom Waits, der „Ol‘ 55“ gesungen hat, in den Ruhestand getreten und durch einen geistesgestörten Karnevalsschreier ersetzt wurde. Vom Klang seines höllischen Grummelns bis hin zur seltsamen Instrumentierung zeigte sich Waits in knapp zwei Minuten zu einem Künstler, der weitaus seltsamer und interessanter war, als seine Musik bis zu diesem Zeitpunkt jemals hätte vermuten lassen können.
Mehrere Songs auf Swordfishtrombones nehmen die Form monströser Blues-Permutationen an. „16 Shells from a Thirty-Ought Six“ ist das lauteste Lied auf dem Album, Waits schreit wie ein Verrückter „I’m gonna whittle you into kindlin‘“. „Gin Soaked Boy“ und „Down, Down, Down“ sind kürzer, aber im Stil ähnlich und kombinieren bluesige Gitarrenriffs mit feuriger Hammond-Orgel. Waits hat den Entwurf für diese Formel in „Heartattack and Vine“ erstellt, aber er hat ihn hier in mutigere, boomende neue Interpretationen ausgeweitet.
Das Album wurde in seiner Gänze von Waits geschrieben, arrangiert und produziert. Eine Tour zum Album folgte nicht, denn Waits blieb lieber zu Hause bei seiner schwangeren Frau. Dafür hatte gerade das MTV-Zeitalter begonnen, und mit dem Dokumentarfilmer Haskell Wexler und dem Künstler Michael A. Russ, der auch das Cover des Albums entworfen hatte, realisierte Waits sein erstes Video zu der langsamen Ballade In the Neighborhood, das auch in seiner direkten Nachbarschaft gedreht wurde.
Es ist unglaublich, wie viele Leute sich diese Clips ansehen,
stellte Waits ungläubig fest.
Swordfishtrombones stellt eine Zäsur in Waits’ Werk dar, eine Abkehr von Lounge-Jazz hin zum experimentellen Blues mit einem kräftigen Schluck aus Kurt Weils Pulle. Viele Elemente, die bis dahin für seine Musik typisch waren, wurden bewusst aufgegeben, so beispielsweise Streicherpartien. Die Klavierpartien wurden sehr spärlich eingesetzt. Stattdessen wurde der Klang deutlich perkussiver, viele unübliche Trommel- und Perkussionsinstrumente wurden bei den Aufnahmen genutzt. Im Zentrum der im Vergleich zu früheren Alben spärlich arrangierten Lieder steht Waits’ charakteristische Stimme.
Das Album ist als die Geschichte eines Mannes konzipiert, der „…sein altes Viertel verlässt und zur Handelsmarine geht, in Hongkong in Schwierigkeiten gerät, heimkehrt, sein Mädchen heiratet, sein Haus abfackelt, und sich in ein Abenteuer stürzt.“
In „Shore Leave“ erzählte Waits die Begegnungen eines Seemanns im gesprochenen Wortformat, während das vom Jazz angehauchte „Soldier’s Things“ eine ähnliche Idee aufgreift und sie vereinfacht. Der Songwriter geht eine seltsame Checkliste mit Gegenständen durch, die zu einer Titelfigur gehören, die nie genannt wird. erst durch seine Bestandsaufnahme verständlich („Manschettenknöpfe und Radkappen/Trophäen und Taschenbücher“). Seine Figurengruppe scheint aus einer ähnlichen Schurkengalerie von Ausgestoßenen zu bestehen, aber sie fühlten sich surrealer an, eher wie abstrakte Kohlezeichnungen von Seeleuten und Betrunkenen als wie lebendige Fotos.
Ab und an überrascht uns Pop, in dem jemand Stilmittel aus der Rumpelkammer völlig neu zusammenstellt und jeder wundert sich, dass bis dahin noch niemand darauf gekommen ist. Außer Frank Zappa, der Trout Mask Replica von Captain Beefheart im Juni 1969 auf Straight Records veröffentlicht hat. Aber das ist eine andere Geschichte.
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Swordfishtrombones, von Tom Waits 1983
Weiterführend → Rhythm & Blues lebt davon, dass die Ambivalenz bewahrt wird. Dieses Album wurde veröffentlicht, als Country noch Country war, es gab kein Alternative, was das Rätsel aufgab, was genau man hörte. Die Cowboy Junkies nahmen Blues, Country, Folk, Rock und Jazz und verlangsamten es stark und schufen dabei etwas Neues. Wir betrachten die Geburtshelfer der Americana. Des Weiteren eine Betrachtung des tiefgründigen Folk-Songs: Both Sides Now. Wahrscheinlich hat selten ein Musiker die Atmosphäre einer Stadt so akkurat heraufbeschworen wie Dr. John. Die Delta-Blues-Progression des Captain Beefheart muss dahinter nicht zurückstehen, eine gute Einstimmung für sein Meisterwerk Trout Mask Replica. Wir lauschen der ungekrönten Königin des weißen Bluesrock. Und dem letzten Werk der Doors. Unterdessen begibt sich Eric Burdon auf die Spuren vom Memphis Slim. In der Reihe mit großen Blues-Alben hören wir den irischen Melancholiker. Lauschen dem Turning Point, von John Mayall. Vergleichen wir ihn mit den Swordfishtrombones, von Tom Waits und den Circus Songs von den Tiger Lillies. Und stellen die Frage: Ist David Gilmour ein verkappter Blueser?
Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch. Daher auch schnellstens der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe