traum
du sagst dein traum war leer
und doch – den träumen malen
die fahlen räume des realen
aus schwerem schaum ein meer
du trägst nur das versäumte
des lebens in den schlaf
in jedem traum der dich nicht traf
versäumst du das geträumte
Das lyrische Ich sagt dem klagenden Du (oder sich selbst): Wenn dein Traum leer war, wenn er dir nichts sagte, dann hast du ihn nicht richtig gelesen, denn auch dein langweiliges Leben ist Stoff für Träume. Der Schaum ist sogar schwer, Schicksal wird aus allem, und er wird ein Meer – in diesem Bild kündigen sich schon die unendliche Mengen von Möglichkeiten an, und auch die Umkehrung des Satzes, dass nicht die Träume dich erschaffen, sondern du erschaffst deine Realität, und die hat mit deinen Träumen zu tun. Anders gesagt: Du musst deine Träume deuten: Als Möglichkeiten, Sehnsucht und Wünsche, die du realisierst.
Was nehmen wir in den Schlaf mit? Das Unverstandene – ich bezeichne es hier mit dem Versäumten. Du versäumst alles, was du nicht erkennst, du lebst das dann gar nicht – nicht nur die nur ersehnten Dinge, die Wünsche, die nicht erfüllten Pläne sind hier gemeint, sondern sogar das tatsächlich Gelebte.
Die letzten beiden Verse sind aphoristisch formuliert. Nicht der Traum trifft dich, sondern du musst den Traum treffen, ihn zu verstehen suchen (vergleiche erste Strophe). Wenn das nicht gelingt, dann ist die (Selbst-) Erkenntnis gescheitert.
Ja, dieses Gedicht vom Leertraum ist ein Lehrtraumgedicht. Traum ist vieldeutig: Nachttraum, Tagtraum, Plan (Vision), Vision (Ahnung). Das Gedicht ist eine Warnung: Man soll sich betreffen lassen von seinen Träumen, da man das Geträumte ansonsten versäumt. Warum? Ist das Geträumte nun doch mehr als der Alltag, der sich in den Schlaf gräbt? Ja und nein. Beides. Beides ist dialektisch. Anders gesagt: Ich will den Traum gar nicht durch eine Grenze von der Wirklichkeit unterscheiden. Der Traum ist nur eine andere Wirklichkeit.
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Aus der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft Gedanken über das lyrische Schreiben.
Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie seinen Essay zum Zyklus Kritische Körper.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.