FAREWELL BORUSSIAK*

 

I

Ich geh übern himmel im abendrot fort

Wir sehn uns über stachel und streben

Die nacht liegt schwarz im neumond   den ort

wo ich hingeh wünsch ich mög’s schwärzere geben

Ich hoff daß die kälte dich nicht verschont

und priester vertun sich mit deinen gedärmen

Kann sein daß dich zu verscharren nicht lohnt

Die geier wird schon der blähwind wärmen

 

Kleine nummer im schattentheater

du beinloser zinngrenadier

du kuriosität am Prater

zwei köpfe und arme vier

 

Doch fürchte nicht du gehst drauf bei der pest

scheinst gegen den schnelltod immun

Du soffst aus kloaken du fraßest asbest

und der dich vergiftet dem gibst du den rest

du mungo im schoß des tycoon

 

II

Ich weiß noch wir wuchsen auf kriegwunder trift

sind zugewachsene ufer gegangen

Wir haben vom sandturm zwillingsgeschifft

du hast mich im flug deiner hände gefangen

mit breitwandträumen und jackpotgequizzt

wir haben zwei rücken den himmel verschlungen

und schlugen uns durch mit der faust und mit list

zwei wilde und weise verstoßene jungen

 

Deine gestöhnten ghazelen*

dein abzählreim bis zum tod

durchschnittner barbarenkehlen

halsband samtig rot

 

Auf trebe verschwandst du in Afrika Süd

hast blut zum frühstück getrunken

Seht was da schwarz am pappelbaum blüht

im burenauferstehungsgestüt

und gänseeisack die halunken

 

 

III

Wir wurden berühmt als härteste band

Wir waren die ersten die weltkrieg riefen

Ich weiß nicht ob heut ein aas uns nocht kennt

es kommt noch ich lecke das fett aus den siefen*

Nachts hat mich dein krimsektatem betäubt

dein chromgeheul fraß mir die haut von den ohren

Du hieltst hof in Pöseldorf linienbestäubt

hast millionen an schlitzmaschinen verloren

 

Zum billardritter geschlagen

du verlogener gabardinehecht

Und auf den standortgelagen

hottet ihr lagerbezecht

 

Die pauke noch einmal walkürenerfüllt

gestopft daß sie tiefer verhöhne

hast du wieder den schlachtgesang forte gebrüllt

die totenkopfcombo im reethaus auf Sylt

genickschuß übte die möhne*

 

IV

Stets denen mit schärferen peitschen verkauft

der firma vertraglich bootlegs gestatten

und deinen sänger in wolfblut getauft

Und dann standst du im zugigen Jupiterschatten

der schlierigen bühne verkabelt verschwitzt

und einsam unter den schnulzern geschniegelt

Merkst du wo der verratknopf sitzt?

sahst nicht mal die rissige maske gespiegelt

 

Hast osten wie westen betrogen

die mutter niedergeknört

die tratte* noch einmal gezogen

den bruder drei nächte verhört

 

Dein kopf ein dreigriffsong dein schwanz polyglott

Dein patent schien ihnen geeignet

einer shreddermaschine für menschenschrott

und als gnade für einige schnelles schafott

die zeitig kredite gezeichnet

 

V

Wir wurden bis in die höfe geschaßt

als am Ku’damm steine ins goldglas flogen

und landeten beide im Tegeler knast

Du riefst: der warf den ersten! ich sagte: gelogen

Eh morgens die stadt nach schwein wieder stank

warst du tätowiert und die haare geschoren

sagtest dreimal aus: der da führte den punk

Als ich nach Stammheim kam hast du gefroren?

 

Wer kerben bei dir hatte

den hieltst du mit himmelsjobs aus

Als du frei kamst warst du in patte

Wer abschwor dem halfst du raus

 

Erst kriegtest du schiß bei molossergebell*

und schossest dem V mann ein blasloch

Dann trugst du Lucianos achziger fell*

die nächte in Howard Hughes‘ hotel

hast gelüftet als es nach gas roch

 

VI

Jetzt trimmst du die kader der hahn hat geschrien

ruhst auf persern hoch über Kreuzbergs tschawale*

in nem penthouse mit landeplatz draus zu fliehn

auf der schulter ne ratte zu füßen schakale

läßt schwingkugeln pendeln den abzug geklinkt

hast pool girls um deine wamme zu balgen

und erzählst beim shake hands wie du Judas gelinkt:

dein silber war falsch doch erbötig dein galgen

 

Hockst da auf intarsien die pfoten

kurzatmiger pavian

hetzt aktienfaule heloten*

gegeneinander an

 

Dein köter verbellt seine Bagdadbahn

Vorm checkpoint kniet deine stimme

Vom giftenden Rhein bis nach Eriwan

vom Elbrus weiter nach Astrachan

was treibst du noch in die kimme?

 

VII

Die antwort ist ausgestreut über die wand

ein regenbogen aus goldscheibenscherben

Und manche wie du sind sie nicht außer land

die werden im schrei dieser alpnacht sterben

Du hast dich als junge nach sonne gesehnt?

 

der blitz wird die blauen augen verblenden

So zahlst auch du den verminderten zehnt

kannst haut über arm deinen vortritt vollenden

 

Soll ich den zug besteigen

an der rampe zum widergang?

aus verdrahteten hainen geigen

den massengrabhorizont lang

 

Daß ich den weg aus den schneefeldern find

gekillt doch nicht zu verwesen

die schultern vereist und ich steure blind

meinen bomber zum spiel auf ein spielendes kind

Der himmel bricht in die vehsen*

 

Was gedenkst du nun weiter zu tun

hast noch nicht meine drachen getötet

Zurück bin ich mit dem taifun

der das abendfeuer rötet

 

 

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Rohlieder I – X von HEL, KUNO 2018

HEL ist bekannt geworden als Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. Diese Gedichte legen eine Stimmung frei, die zwischen Melancholie und Unbeschwertheit, Wehmut und Klarheit wechselt.

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Ein faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.

Anmerkungen:

borussiak = „-K steht fürs pelaSGische“

ghazelen = „pers. gespinst; gedichtgattung“

sief = „siepe, brauchwasserabflußrinne“

möhne = „vermummte beim rheinischen karneval“

tratte = „tracta, gezogener wechsel“

molosser = „altgriechische kampfhunde“

achziger fell = „saisonfell der achziger jahre“

tschawale = „roma pöbel, aufruhr, barrikaden“

heloten = „spartan. niedergehaltene messener, proll“

vehsen = „fehse, veese – ähre“