Monat: Mai 1995

Werkstatt für potenzielle Literatur

Kein Spiel funktioniert ohne Regeln Im Jahre 1960 gründeten französische Literaten (die Werkstatt für potentielle Literatur (Ouvroir de littérature potentielle, abgekürzt Oulipo) als eine lose Vereinigung in Paris. Hier treffen sich Vertreter potentieller Literatur zu Gedankenaustausch und veranstalten Lesungen im…

Handlachen

    Haben Sie es gesehn? Wir haben es gefilmt, fotografiert, Bandaufnahmen gemacht. Wie es allmählich umkreiste sein Ding, wie es leise im Anschwellen gurgelte, sichtbar als Spreizung, wie es sich aus den Zügen riß, ahnbar als ein Bild zarter…

Deine Hände

  Ich fühle Deine Hände im Haus, Sie gehen wie Blut durch alle Wände Und teilen ihre Wärme aus.   Sie bereiten mitten im Alltagslärme Mir täglich einen Hochzeitsschmaus, Verwandeln Sorgen in Singvögelschwärme.   Wie Sonnenstrahlen auf Erden wandeln Und…

RAUSCHZEIT!

  wer stimmt den aasgesang an? ist’s roter mohn der so bitter rinnt? schweifen im taugras, wer weckt den Pan? die alte parze die spinnentod spinnt.   Sonnreiter, flügelgaul überm berg, im himmel krähen, der mond steht alt, aus dem…

Über den russischen Dichteresoteriker Nikolai Klujev

Klujev, altgläubiger dichter in schaftstiefeln und schafspelz, der von einem irdischen bauernparadies träumte und der wiederkehr Pugatschows, als kulak verteufelt, verhaftet, verbannt, ohne Kieferngeläut verscharrt wie ein räudiger köter im lager narym in jenen jahren… Wulf Kirsten   Der russische…

In Güstrow

  Ich habe deine Kleider mitgenommen das wässrige Öl aus dem Schrank die Puderdose zerbröselte Reste auf den Augen verteilt.   Ich habe auf den Stufen gesessen auf jeder nach oben und unten gesehen den Abdruck deines Pfennigabsatzes gesucht.  …

Wolken

  elomen elomen lefitalominal wolminuscaio baumbala bunga acycam glastula feirofim flinsi elominuscula pluplubasch rallalalaio endremin saxassa flumen flobollala feilobasch falljada follidi flumbasch cerobadadrada gragluda gligloda glodasch gluglamen gloglada gleroda glandridi elomen elomen lefitalominai wolminuscaio baumbala bunga acycam glastala feirofim blisti…

Wankelmut

  Mein Suchen sucht! Viel tausend wandeln Ich! Ich taste Ich Und fasse Du Und halte Dich! Versehne Ich! Und Du und Du und Du Viel tausend Du Und immer Du Allwege Du Wirr Wirren Wirrer Immer wirrer Durch Die…

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und immer wieder diese Tage an denen nichts das Herz mehr beruhigt rastlose Suche: Streif mit mir im Gras umher: einher gehen wir unter uns *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum…

Die Weltbühne

Es wird uns Mitarbeitern der ‚Weltbühne‘ der Vorwurf gemacht, wir sagten zu allem Nein und seien nicht positiv genug. Wir lehnten ab und kritisierten nur und beschmutzten gar das eigene deutsche Nest. Und bekämpften – und das sei das Schlimmste…

Der Ursprung der Spontaneität

Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke. Johann Wolfgang Goethe   Das moderne Subjekt wird im 18. Jahrhundert krisenhaft geboren, in der Romantiker-WG in Jena. Im kulturellen Kontext spricht man von Romantikern, der Zugehörigkeit zu einer…

Elegie zum Thema Verlust

nach Friedrich Rückert   Ich bin KUNO abhanden gekommen, Wo ich so vielen die Zeit verdorben, Sie haben lange nichts von mir vernommen, Nun sind sie für mich vollkommen gestorben! Es ist mir auch gar nichts daran gelegen, Ob man…

manchmal sind gedichte

  wie welke blätter die in nasses gras fallen manchmal wie schnee der auf den bergen taut eine flut im fluß auf dem wege zum meer gedichte können sterben weinen auch lachen manchmal haben sie die kraft einer frau oder…

SpRachen:erkundung

  die Worte im Mund zwischen den Zæhnen zer\ mahlen , letztlich auf dem Gaumen nach\schmecken & sie voll ends auf der Zung‘ zer\ fliessen lassen       *** Letternmusik, Gedichte von A.J. Weigoni, zuerst erschienen beim Rospo-Verlag, Hamburg,…

Legende

  In Indien – sagt man – weint der Mond Kristalle, Den schattenloser schwerer Traum umwand. Und wer des Mondes Träne drunten fand, Der geht gefeit vor Tod und jähem Falle.   Nun mag die Pest der Völker Leiber fretzen…

FEIER DES WORTES

  Bevor Sie dieses Gedicht betreten, ziehen Sie sich bitte die Schuhe aus. Sie werden vom Autor darum gebeten. Sparen Sie am Ende nicht mit Applaus.   Haben Sie sich schon die Hände gewaschen? Nein? Dann wird es aber höchste…

Schreibe barbarisch!

  Sprechen oder Schreiben ist ein Bemühen um größeres Welt-Verständnis. Wer beschreiben kann, begreift, und umgekehrt. Literarisches, dichterisches Beschreiben ist, im Unterschied zum wissenschaftlichen, der Subjektivität geöffnet, ja verpflichtet, und im Bewusstsein gelassener, anders kontrollierter Subjektivität muss dann das Bezeichnete…

ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE

  zwischen himmel und erde   der horizont das niemandsland   zwischen himmel und erde   das grauen der völkermord   zwischen himmel und erde   der vogelflug der vogelschrei   zwischen himmel und erde   die grenze der freiheit…

Negation

  Für T. C. Die Wohnung eine Zelle. Paar Quadratmeter. Studentenappartements seien das, sagte er lächelnd und zuckte die Schultern. Und da darfst du trotzdem wohnen bleiben, obwohl du kein Student mehr bist? Naja, sagte er und lächelte. Hier stand…

Waagerechte

    Weiterführend → Mehr über die Hungertuchpreisträgerin Katja Butt.

Gedicht ohne Worte

    *** Weiterführend → Eine Würdigung der Hungertuchpreisträgerin finden Sie hier. Mehr Informationen zur Künstlerin, hier.

KNOCHEN

wo ich fraß und fäule übersteh leb ich erlöst vom körper lieg ich zerlegt im abgrund unter der landschaft versteinern meine knochen werd ich zeichen nutzen mir die besten prothesen nichts selbst wenn sie häuserwände erklimmen in mauerspalten ragen leibabrisse…

Europäische Traditionen in der Lyrik

Vorbemerkung der Redaktion: Die Lyrik ist eine der frühen literarischen Formen. Wenn auch die frühesten überlieferten lyrischen Texte nicht als Gedichte im heutigen Sinne verstanden wurden – das Vorkommen von Reim bzw. Alliteration, einer Metrik oder eines sprachlichen Rhythmus genügt,…

Alle haben mitgemacht und keiner war dabei

  Auch 50 Jahre nach dem „Tag der Befreiung“ noch kein Feiertag.     ***   Weiterführend → Friedrich Nietzsche ist der Godfather des Cynismus. Oft leisten seine Texte viel mehr: Aufschreckende Brüche und Diskontinuitäten im Sprachlichen, unruhige und gewagte…

Collage

  Weiterführend →  Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung…

Galgenberg

  Blödem Volke unverständlich treiben wir des Lebens Spiel. Gerade das, was unabwendlich fruchtet unserm Spott als Ziel.   Magst es Kinder-Rache nennen an des Daseins tiefem Ernst; wirst das Leben besser kennen, wenn du uns verstehen lernst.    …

Der Frauenheld – Moritat

  Frühmorgens fiel ich aus dem Bette, Das lag nicht nur am letzten „e“, Die Decke hing wie eine Klette, Mein Großer Zeh war nicht OK.   Es muss am Wein gelegen haben: Denn ich ging ihm bis auf den…

Holzleim

  Vor einiger Zeit hat Herr Nipp einen Stuhl zerlegt, um ihn grundsätzlich zu sanieren. Der Stuhl war ein Fundstück vom Sperrmüll. Wir wissen ja schon seit geraumer Zeit, dass Herr Nipp gerne Möbel aus der Vergangenheit nutzt. Waren es…

blues in Schwarzweiß

  während noch immer und schon wieder die einen zerstückelt und verteilt und vertrieben werden die einen die immer die anderen sind und waren und bleiben sollen erklären sich die eigentlich anderen noch immer und schon wieder zu den einzig…

Mädchenlied

  Einige Mädchen brachten dem alten Schwaning einen frischen Kranz. Er setzte ihn auf, küßte sie, und sagte: Auch unserm Freund Klingsohr müßt ihr einen bringen, wir wollen beyde zum Dank euch ein paar neue Lieder lehren. Das meinige sollt…

 Ich atmet‘ einen linden Duft!

  Ich atmet‘ einen linden Duft! Im Zimmer stand Ein Zweig der Linde, Ein Angebinde Von lieber Hand. Wie lieblich war der Lindenduft! Wie lieblich ist der Lindenduft! Das Lindenreis Brachst du gelinde! Ich atme leis Im Duft der Linde…