Du lieber Raum, nun müssen wir uns trennen!
Ins Fenster grüßt die schlanke Rosenranke
noch einmal wie ein glücklicher Gedanke
aus Tagen, die mich ganz ihr eigen nennen.
Du warst die Ruhe! Deine sanften Wände
umfingen meines Wesens dunklen Bronnen;
von ihnen glitt das Auge kühl versonnen
durchs Fenster in das lieblichste Gelände:
Da sprang der Fluss verwegen durch die Stille,
da schrieb der Wind den Rhythmus meiner Lieder
im weißen Buch des Holderbaumes nieder,
und mein war all des Sommers Farbenfülle.
Was werden nun für Menschen nach mir kommen?
Sie werden deine Seele nicht verstehen,
und kalten Sinnes diese Schönheit sehen,
weil ihrem Leben längst der Glanz genommen. —
Ach, dass wir Dichter das nicht halten können,
was die Erfüllung unsers Ichs bedeutet! –
ein Neues winkt, die Dampferglocke läutet –
Du lieber Raum, nun müssen wir uns trennen!
Margarete Beutler war Mitglied der künstlerisch-literarischen Vereinigung »Die Kommenden«, zu der auch Else Lasker-Schüler, Hans Ostwald und Ernst von Wolzogen gehörten. 1902 veröffentlichte Beutler nach Beiträgen in Zeitschriften wie dem »Simplicissimus« ihren ersten Gedichtband und zog von Berlin nach München. Dort trat sie vermutlich beim Kabarett »Die Elf Scharfrichter« auf, arbeitete als Redakteurin der Zeitschrift »Jugend« und war als Übersetzerin tätig. 1908 erschien, protegiert von Christian Morgenstern, ein zweiter Band Neue Gedichte und 1911 der dritte mit dem Titel Leb wohl, Bohème. Ab 1925 lebte Beutler im selbst erworbenen kleinen Blockhaus in Seeheim am Starnberger See unter ärmlichen Verhältnissen.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten lehnte sie den Beitritt in die Reichsschrifttumskammer ab und verzichtete somit auf weitere Veröffentlichungen.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.