WEIGONI: Mit deinen Geschichten liegst du auf der Short/Short-Welle, die aus den usa rüberschwappt. Liegt in der Wut des Garagen-Postpunk die Quelle deines Schreibens?
Patricia Brooks: Mir gefällt das Genre der amerikanischen Short/Short Stories, das ist so erfrischend frei von quälender Innerlichkeit, zeichnet die Geschichten in knappen, oft am Kern des Dramas bewusst vorbeiziehenden Strichen. Das ist ein sehr eigenständiges Genre, das im deutschsprachigen Raum keine Tradition hat, wahrscheinlich aus verschiedenen Gründen auch nicht übertragbar ist. Ich lese sie gerne, nicht alle faszinieren mich, aber die eine oder andere geht mir dann auf im Kopf, die trage ich dann für Stunden / Tage mit mir herum. Wie einen Popsong. Aber das passiert mir auch mit anderer Literatur. Und Vorbilder in der Literatur hatte ich nie. Meine Vorbilder – oder Inspirationen für mein Schreiben lagen vielmehr in der Musik, früher dem Punk, dann der Undergroundmusik der Independents und dergleichen, manchmal auch im Film.
WEIGONI: Bei Musik geht es um den Groove, beim Film um Schnitt und Montage (was seit Döblin ein beliebtes Spiel ist), wie kannst du dich mit Literatur im Sperrfeuer der Medien behaupten?
BROOKS: Grundsätzlich über den gleichen Ansatzpunkt und der liegt im Bereich der Emotionen. Sowohl die Musik, wie der Film, wie die Literatur funktionieren in erster Linie über Gefühle. Im günstigen Fall linkt es dann auch noch quer in andere Bereiche. Wie man den Touch-down erreicht, ist ein formaler Aspekt. Aber ich denke, man muss gewissen Entwicklungen in der durch Medien trainierten Wahrnehmungsfähigkeit der Gesellschaft Rechnung tragen, die Gesellschaft ist in den letzten zwanzig oder dreissig Jahren visueller geworden, vollzieht spielend einen Wechsel von realer und nichtrealer Ebene, ist aufnahmefähiger und anspruchsvoller geworden hinsichtlich Tempo der Bildschnitte, Gestaltung der Bildfolgen. Da steckt eine starke spontane poetische Kraft darin, die zu nutzen ist.
WEIGONI: Welche Bedeutung haben Bilder für deine Prosa-Arbeit?
BROOKS: Das Erzählen in Bildern ist nicht nur eine sehr ursprüngliche, sondern eine grundlegende Form des Erzählens. Das fängt bei Gilgamesch (und sicher schon davor) an, wie bei den Geschichten und Märchen, die man Kindern erzählt, zieht sich durch die Zeit in unterschiedlichen Manifestationen bis hin zum Comic, zum Film, etc. Die Art der Bilder und ihre Akzeptanz hat sich im Laufe der Zeit verändert, aber im Grunde genommen entspricht ein Denken in Bildern dem menschlichen Denken, ist einer jener Orte, wo sich der Übergang von abstraktem in konkretes Denken vollzieht.
WEIGONI: Welche Ebenen spielen bild- und metapherhaft eine Rolle?
BROOKS: Ich versuche durch das Arbeiten mit Bildern und verschiedenen Sprachebenen, wobei die eine bild- und metaphernhaft, die andere in realistischem Stil gehalten ist, verschiedene Winkel der Geschichte auszuleuchten, durch das Vermischen der Stile, dem Überschneiden, Zusammenschneiden, eine gestraffte Dramaturgie zu erzielen. Das erscheint mir wichtig, da die Kurzgeschichten, die ich erzähle, an jenem Punkt des klassischen dramaturgischen Handlungsbogens ansetzen, an denen eine Wende eintritt oder sich abzuzeichnen beginnt, ein Ausschnitt aus dem gesamten Bogen, der doch die ganze Geschichte, in Vor- und Rückschlüssen, die beim Leser bleiben, anreisst.
WEIGONI: Bisher hast du überwiegend Kurzprosa geschrieben. Wie schaut’s aus mit einer längeren Strecke?
BROOKS: Zur Zeit arbeite ich konkret an einer längeren Erzählung, geplant sind so 90 – 100 Manuskriptseiten, so weit man das im gegenwärtigen Stadium sagen kann, und notizenhaft auch an einer zweiten. Im Detail mag ich über beide nicht viel sagen, das ist noch zu unfertig. Aber es ist eine Herausforderung, weil eine lange Geschichte mehr Platz bietet, an der Geschichte und ihrer Entwicklung dranzubleiben und auch ihre Seitenarme auszuarbeiten. Das hat mir in letzter Zeit bei den Kurzgeschichten gefehlt. Ich habe gemerkt, wie sie immer länger und länger geworden sind.
WEIGONI: Scheint mir logisch zu sein, dass man immer weiter hinaus will und doch immer wieder auf seine Knacknüsse zurückkommt?
BROOKS: Ich möchte beides machen, Erzählungen und Kurzgeschichten. Hintereinander, nebeneinander. Wie es eben so kommt. Bestimmte Ideen und Vorstellungen erfordern das eine und andere eben das andere. Es sind verschiedene Dinge. Und irgendwie befruchten sie einander auch.
WEIGONI: Durs Grünbein hegt Zweifel, was die Sprengkraft seiner lyrischen Produktion angeht. So sei, orakelte er, „die orgiastische Überschreitung“ heute weniger in der Poesie als im Pop zu finden. Führt der Rapper die traditionelle Rolle des Minnesängers weiter?
BROOKS: Ob der Rapper die Rolle des Minnesängers weiterführt, weiss ich nicht. Ist ein schöner Gedanke. Aber der Minnesänger war wohl immer mehr so ein Mittelding zwischen einem Poeten und einem Popstar. Hinsichtlich der „orgiastischen Überschreitung“ pflichte ich Durs Grünbein bei, dass die mehr im Pop als in der Poesie zu finden sei. Das liegt einerseits sicher daran, dass der Pop eine Breitenstreuung und mediale Präsenz hat, die die Literatur auch nicht annähernd erzielt, und andererseits finden sich in der deutschsprachigen Literatur der letzten 25 Jahre, mit Ausnahme einzelner Autoren und einiger Strömungen wie zum Beispiel der nun auch allmählich Altersspeck ansetzenden experimentellen Poesie, die immer wieder und wieder ausgeschlachteten Themenkreise: der aus einer unseligen Kindheit aufbrechenden Selbstfindung in einem verrohenden, sich verbanalisierenden Umfeld, der weiblichen Selbstbehauptung und Bestimmung und der Aufarbeitung nationalsozialistischer Geschichte. Das ist alles wichtig und richtig. Das trägt sich über viele Bücher. Aber über einen Zeitraum von 25 Jahren wird es literarisch irrelevant. Das bringt keinen Leser mehr an seine Grenzen und schon gar nicht in Extase.
WEIGONI: Würdest du Pop-Songs schreiben, Patricia?
BROOKS: Ich kann kein Musikinstrument spielen und auch mit keinem Musikprogramm auf dem Computer umgehen. Und musiklos einen Songtext zu schreiben ist langweilig. Gemeinsam mit einem Musiker / einer Musikerin wäre der Versuch schon reizvoll. Aber Anliegen ist es mir keines.
WEIGONI: Mir fällt auf, dass ein Publikum, das sich schräge Popmusik anhört, einen konventionellen Literaturgeschmack hat und umgekehrt. Extremisten in jeder Richtung sind selten geworden oder ist das in Österreich anders?
BROOKS: Nein, das ist in Österreich das gleiche. Es ist nicht die Zeit für Extremisten. Das gesellschaftliche und kulturelle Klima ist ein biedermeierhaftes. Im allgemeinen. In der Gesellschaft verfestigt sich eine konservative Haltung und in der Kultur blüht der Mainstream. Avantgarde und Subkultur werden entweder auf der Stelle vermainstreamt oder in einen toten Winkel gedrängt. Aber irgendwann werden in dieser lauen Kunstsuppe endlich wieder Brüche entstehen und es wird wieder spannender werden. Bald, so hoffe ich.
WEIGONI: Wobei man nicht mehr auf die Ballungsräume angewiesen ist. Meiner Ansicht nach lässt sich das nur dialogisch lösen…
BROOKS: Davon ausgehend, dass du das dialogische Schreiben im Internet meinst, ist das sicher ein Ansatz zu einem Bruch / Aufbruch. Wohin der allerdings führt in seinem Einfluss auf die Literatur, ob es eine einsame Sonderschiene bleibt oder ein zu einem Impuls wird, der neue Massstäbe in der Literatur setzt, traue ich mich nicht zu beurteilen.
WEIGONI: Das Zeitalter des übertriebenen Individualismus und damit der Selbstverwirklicher ist vorbei. Da Kunst immer auf dem Stand ist, auf dem auch die Technik ist, bietet das Internet die Möglichkeit, aufeinander zuzuschreiben. Die Autorität wäre somit die Idee. Alles andere führt zu weiterer Vereinsamung. Und die Beschreibung von Aussenseitern wird auf die Dauer auch langweilig, oder?
BROOKS: Die literarische Idee und deren Verwirklichung, egal ob konzeptueller, inhaltlicher oder formaler Natur sollte doch immer die Autorität sein, nicht wahr?
WEIGONI: Sischer dat!
BROOKS: Die Arbeit im Internet eröffnet da sicher neue Möglichkeiten, da wird über herkömmliche Konzeptionen hinweggeschrieben, Grenzen werden erweitert und überschritten. Das ist interessant und aufregend. Weil es eben immer interessant und aufregend ist, Grenzen zu erweitern und zu überschreiten, was meiner Meinung nach der wichtigste Grund ist, Kunst überhaupt zu produzieren und Kunst neben dem Effekt der Unterhaltung auch zu konsumieren. Das Internet bringt da sicher einiges in Gang. Allerdings bezweifle ich, dass die Literatur aus den Büchern verschwindet und sich, interaktiv oder nicht, auf den Bildschirm pixelt.
WEIGONI: Man weiss es noch nicht so genau. So ganz bist du aber auch nicht mehr auf das Buch fixiert. Was ist unter dem Poetry Projekt zu verstehen?
BROOKS: „Poetry Projekt“ ist ein Auftritts- und CD-Projekt, das ich mit zwei Wiener Kollegen, Ercüment Aytac und Wolfgang Kindermann, geplant habe, und das wir in Zusammenarbeit mit einem DJ im Laufe dieses Jahres (1998) realisieren werden. Konkret werden da die Texte der Autoren zu den Musikmontagen des DJs, einzeln oder im Sprechchor, isoliert, gleichzeitig oder auch überlappend rezitiert. Dazu wird eine CD produziert, die im deutschen und österreichischen Rundfunk präsentiert werden soll. Ich freue mich auf dieses Projekt, weil es eine Art Entspannung ist, zwischen der in ganz bestimmter Hinsicht autistischen Arbeit des Buchschreibens. Und doch bin und bleibe ich auf das Buch fixiert, weil es Literatur pur ist. Ohne Schnörksel und ohne Auflockerung. Das ist mir schon sehr wichtig. Aber parallel dazu ist es auch wichtig und vergnüglich, andere Wege zu gehen.
WEIGONI: Also konservativ im Sinne von bewahrend?
BROOKS: Ich habe dazu keine filosofische Haltung. Mein Konsumverhalten, meine Vorliebe für das Buch beeinflusst eben auch mein Produktionsverhalten.
WEIGONI: Wie funktioniert dein Arbeits- und Produktionsverhalten bei einem Short / Short, bitte ein Beispiel von der Idee über die Herangehendsweise bis zum fertigen Text?
BROOKS: Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal gibt es von vornherein, eine detaillierte Vorstellung des Verlaufes einer Geschichte sowie ihrer formalen Aufbereitung. Manchmal gibt es nur ein Bild, einen Satz, den Aspekt einer Figur und die Geschichte selbst erzählt sich erst im Schreiben.
WEIGONI: Aber bitte, mal konkret: Wie hast du den Short/Short Sie kam nach Wien, nahm ein Zimmer in Simmering, suchte eine Arbeit bei Billa und fand einen Postpunk für den Band »Aquadrom« erarbeitet?
BROOKS: Das ist eine 2-Seiten-Geschichte, sie stammt aus einer Zeit, Anfang der 90-er Jahre, als ich Geschichten inhaltlich kurz und dicht gehalten und mit der Form der Abhandlung experimentiert habe. So habe ich mir am Beginn dieser Geschichte Gedanken über das Zerlegen in Blöcken gemacht und dann war da der Satz: „Sie kam in die Stadt, diese Stadt, irgendeine Stadt und keine andere…“ Aus diesem Satz haben sich dann die Blöcke Stadt – Zimmer – Arbeit – Geliebter ergeben, und gleichzeitig war dieser Satz wie ein musikalisches Thema, das sich in Abwandlung durch die Blöcke zieht, beziehungsweise sie einleitet. Und diese Einleitungen wurden im letzten Block zusammengefasst und umgekehrt. Daraus ist dann eine comichafte Geschichte in fünf Bildstreifen und einer Spekulation geworden.
WEIGONI: Als Kontrapunkt zum vorgenannten Short/Short würde ich gern etwas zur Arbeit an der Geschichte Das Herz eines Dobermanns auf dem Band »Feuerfahrt / Winterspiel« wissen…
BROOKS: Interessant, dass du gerade diese Geschichten ansprichst, weil „Sie kam nach Wien…“ war eine der ersten Geschichten, die ich für den Band »Aquadrom« und „Das Herz eines Dobermanns“ war die letzte, die ich für den Band »Feuerfahrt. Winterspiel« geschrieben habe. Bei dieser Geschichte war da zunächst nur ein Bild in meinem Kopf: ein parkähnlicher Garten im späten Sommer, darin drei Personen um einen Tisch angeordnet, zu ihren Füssen dösend die ausgestreckten Körper zweier Hunde. Ein Bild von idyllischer Eleganz auf den ersten Blick, auf den zweiten das leise Flirren einer Bedrohung, unausgesprochener Verflechtungen von Schuld, die in der Geschichte der Protagonisten liegt. Ich bin dann in dieses Bild hineingestiegen und habe mir diese Geschichte erzählen lassen.
WEIGONI: In Zukunft wirst du wieder selber erzählen?
BROOKS: Ich habe jetzt meine Erzählung „Unter dem Mantel des Engels“ fertiggestellt. In den nächsten zwei bis drei Monaten werde ich zur Abwechslung wieder kurze Geschichten schreiben, vielleicht auch eine für das Internet in Form von Modulen, die sich der Leser/User dann selbst zusammenstellen muss/kann, werde an verschiedenen Gemeinschaftsprojekten mit Kollegen arbeiten und dann mit der nächsten langen Geschichte beginnen.
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Dieser Band war als bibliophile Vorzugsausgabe erhältlich über den Ventil-Verlag, Mainz.
Aus Recherchegründen hat der vordenker die Kollegengespräche ins Netz gestellt. Sie können hier abgerufen werden. Die Kulturnotizen (KUNO) haben diese Reihe in loser Folge ab 2011 fortgesetzt.
Einen Essay zu dieser Reihe finden Sie hier.