Mit den modernen Dichtern ist es so eine Sache: weil nicht jeder einzeln die Welt umspannen kann, so haben sie sich das geteilt; der eine bearbeitet die soziale Not, der andere das verschüttete Venedig, und der dritte protestiert feige und gekränkt Zeit seines Lebens gegen die Schlüsselromane. Jeder seins.
Aber ich wollte ja eigentlich gar nicht von den Dichtern erzählen, sondern vom Vogelladen.
Da gibt es hier in einer belebten Straße der Stadt einen Vogelladen, und das Schaufenster steht vollgepackt mit vielen kleinen Käfigen mit Vögeln, und auch ein Ringelschwanzaffe ist da und ein Kaninchen. In der einen Reihe stehen nur Dompfaffen, dicke braune Kerle, und ihre Käfige sind alle etikettiert, damit man es weiß, was sie alles pfeifen können. Und sie können alle so schöne altmodische Lieder, die kein Mensch mehr pfeifen kann, sondern nur noch diese braunen Vögel und vielleicht die alten Förster, die sie ihnen beigebracht haben. Da gibt es:
„Ach Mädchen, erhör’ mich
Und sei mir gut“ usw.
und:
„Wie die Blümlein draußen zittern“ usw.
und viele andere schöne Gesänge.
Und jeder kann zwei, und er ist mächtig eingebildet auf seine Künste, die da vorn am Käfig stehen, und er blinzelt dich dick und faul an, daß du es gar nicht glauben kannst, daß er das pfeifen kann:
„Ich hab’ mir nur eines erwählet,
Schön Schätzchen, das mir gefällt“ usw.
Und einer ist ein Skeptiker und pfeift:
„Ein Mädchen, das nicht tanzen kann“ usw.
und sein Nachbar, der Humorist:
„Meine Mutter schickt mich her,
Ob der Kaffee fertig wär …“
Und es ist ganz ausgeschlossen, daß einmal der mit dem erwählten Schätzchen das Lied von dem erzitternden Blümelein pfeifen wird und umgekehrt. Da herrscht strenge Arbeitszeit. Sie fressen, saufen, blinzeln faul und träge, und manchmal pfeifen sie, aber jeder seins, jeder seins.
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Weiterführend → Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.