I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the Negro streets at dawn looking for an angry fix
Allen Ginsberg
Jede Kultur hat ihre Ursprungsmythen, von denen sie sich herleitet und damit verbundene Rituale und Ideen. Auch wenn es altmodisch klingt, es braucht eine Haltung, die individuelles Denken nicht nur erlaubt, sondern geradezu einfordert. Der Begriff Beat Generation wurde etwa 1948 von Kerouac eingeführt, der so sein soziales Umfeld im Gespräch mit John Clellon Holmes beschrieb. Holmes veröffentlichte 1952 Go, einen frühen Roman über die Beat Generation, und das Manifest This Is the Beat Generation in der Sunday New York Times. Das Adjektiv beat aus dem Slang der Kriminellen, den Herbert Huncke in die Gruppe um Kerouac, Ginsberg und Burroughs einbrachte, hatte die Bedeutungen „besiegt“, „müde“ und „heruntergekommen“, aber Kerouac prägte zusätzlich die Bedeutungen „euphorisch“ (upbeat), „seligmachend“ (beatific) und in Bezug auf Musik, vor allem Bebop, auch being on the beat („im Rhythmus sein“).
Eine kleine Gruppe von Autoren und ihren Freunden als „Generation“ zu bezeichnen, sollte den Anspruch verstärken, dass sie repräsentativ und wichtig für die Entwicklung einer neuen Stilrichtung waren, man beanspruchte das Erbe der Lost Generation um Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway zwischen den Weltkriegen.
Die Beatniks lebten unkonventionell und zeichneten sich durch ihre Spontaneität und ihre teils chaotische, aber meist kreative Veranlagung aus. Auch wenn Kerouac den Begriff Beat Generation schon 1948 geprägt hatte, erhielt sie erst in den späten 1950ern regen Zulauf. Sein maßgebliches Werk Unterwegs (On The Road) wurde erst 1957 veröffentlicht. Bis dahin hatte die Beat Generation schon im Mainstream Fuß gefasst. Ihr Einfluss als erste „moderne literarische Subkultur“ zieht sich durch die nachfolgenden alternativen und gesellschaftskritischen Kulturentwicklungen; direkte Nachfolger waren die politischen, intellektuellen Hippies der Ostküste, die Yippies, vor allem Ed Sanders wird oft als Brücke zwischen beiden genannt.
a page is not a four sided white void
in which to practice zeroness.
Ed Sanders
Die bekanntesten Werke waren Kerouacs Roman Unterwegs (On the Road), das lange Gedicht Howl, das Ginsberg 1955 beim Six Gallery reading vorstellte, und Naked Lunch von Burroughs. Howl und Naked Lunch standen wegen angeblicher Obszönitat im Mittelpunkt von Gerichtsprozessen und verhalfen durch Freisprüche zu freizügigeren Publikationsmöglichkeiten in den prüden USA. Die Autoren der Beat Generation trafen sich in New York City: Kerouac, Ginsberg, Burroughs und Gregory Corso, der 1950 dazustieß. In New York veröffentlichten LeRoi Jones und seine Frau Hettie Jones später Beat Lyrik in ihrer Literaturzeitschrift Yūgen (1958–62), L. Jones verlegte auch den ersten eigenen Gedichtband 1961 in seiner Totem-Presse. Mitte der 1950er-Jahre zogen Kerouac und Ginsberg nach San Francisco, wo sich die San Francisco Renaissance um den bekannten Dichter und Aktivisten Kenneth Rexroth, den Buchhändler und Dichter Lawrence Ferlinghetti, Gary Snyder, Philip Whalen, William Everson (Brother Antoninus) und andere entwickelte. Ginsberg brachte Howl bewusst in Ferlinghettis billiger City Lights Pocket Poets Reihe heraus.
Der interessanteste Autor, den die Beat Generation hervorgebracht hat, war eine Frau.
Ruth Weiss wurde in einer jüdischen Familie (ihre Eltern waren Oscar und Fani Weiss) geboren. 1933 kehrten ihre Eltern auf der Flucht vor den Nazis vorerst mit ihr von Berlin nach Wien zurück, wo sie die entscheidenden Kindheitsjahre im immer radikaler werdenden Klima des aufkommenden Nationalsozialismus erlebte. Ende 1938 konnte die Familie mit dem letzten Zug nach Holland und von dort in die USA emigrierten (ihre in Wien verbliebenen Verwandten kamen im Holocaust um), zunächst nach New York, dann nach Chicago, wo sie sich 1949 niederließ und während einer Jam-Session erste (private) Lesungen mit Jazzmusik-Begleitung gab, wobei sie, wie sie in einem Interview äußerte, Bebop für ihre Lesungen bevorzugte. 1952 zog sie nach San Francisco.
Weiss trat ab Mitte der 1950er-Jahre im Umfeld der US-amerikanischen „beat poets“ auf. Legendär wurden ihre Jazz-Text-Performances 1956 auf der Bühne des Clubs „The Cellar“ in North Beach, San Francisco, wo Ruth Weiss als erste Poesie und Jazz miteinander verband. Der Club war von den mit ihr befreundeten Jazzmusikern Sonny Nelson, Jack Minger und Wil Carlton aus New Orleans begründet worden, den Begleitmusikern für ihre Lesungen. Sie war mit den Autoren Jack Kerouac und Neal Cassady befreundet, mit denen sie Haikus tauschte.
Die sogenannten „68er“ erschöpfen ihr Publikum in der BRD mit Berichten aus der Zeit der abgesagten Revolte.
„68“ begann bereits 1966 in Princeton. Peter Handke bezeichnete die Prosa der Autoren der Gruppe 47 als Beschreibungsimpotenz. Er stand somit in der Reihe der „Dirty Speech“-Bewegung in der BRD, die 1969 mit der Rolf Dieter Brinkmanns ACID ihren publizistischen Ausrucks fand. Bereits der Titel war Programm: Acid – zu Deutsch Säure oder LSD – vermittelt Provokation und Aufbegehren, ist radikaler Ausdruck einer jungen, unangepassten Protestkultur. Die viel gelobte, auch auch beschimpfte Dokumentation über die amerikanische Subkultur der Beatniks und Hippies bietet ein Konglomerat aus Lyrik, Prosa, Essayistik, Interviews, Textmontagen, pornografischen Texten, Comic-Strips und Fotos – damals eine gewagte Grenzüberschreitung zwischen Hoch- und Trivialliteratur, heute mindestens ebenso faszinierend im Rückblick auf die Zeit der Flower-Power-Bewegung und der sexuellen Revolution. Brinkmanns ACID war eine Anthologie amerikanischer Beatliteratur, gesammelt und damit den Versuch eröffnend, auch in der deutschen Dichtung die bürgerliche Moral zu brüskieren, lyrische Formen zu banalisieren, den Alltag zum Thema zu machen und Sex, Brutalität, Perversion als Sujets zu akzeptieren. In der BRD kreiste eine Gesellschaftsschicht so sehr um ihre primären Hochkultur-Bedürfnisse, dass sie nie dazu kam, sie zu befriedigen. Den Nonkonformismus der 1960ger und 1970ger Jahre belebten Jugendszenen mit literarischen Ambitionen. Sehr zum Ärger des Establishments, sie beschimpfen die Keller-Poeten als Nonkonformisten. Autoren Hadayatullah Hübsch, Tiny Stricker und Rolf-Dieter Brinkmann verstanden das als Ehrentitel und begannen, laut und deutlich gegenzureden. Ihnen war es wichtig, sich kommerziellen und gesellschaftlichen Zwängen ganz zu entziehen, man versuchte sie in der Schublade „Underground-Literatur“ abzulegen. Ihr Schreibstil, den die Autoren als spontane Prosa bezeichnen, wurde von der bürgerlichen Literaturkritik als „Geschreibsel“ abgetan. Jürgen Ploog oder Jörg Fauser waren ab 1970 bekannte deutsche Cut-up- und Beat-Autoren: Ploog veröffentlichte bei Melzer und in den Expanded Media Editions Udo Bregers, die kleinere Texte von unter anderem W. S. Burroughs, A. Ginsberg, Mary Beach und Claude Pelieu, Sinclair Beiles und Charles Plymell vertrieben. Fausers erstes Buch erschien auch bei e.m.e., die nächsten im Maro Verlag, der weitere deutsche Autoren verlegte und auch Charles Bukowski. Peer Schröder schrieb inspiriert von der Beat-Literatur seine eigene Cover-Version.
Der letzte Mohikaner
Der wahrscheinlich letztverbliebene Beat war Stuttgarter Autor Ossi Eichhorn. Er dürfte nur noch einem kleinen Kreis von Literaturkennern ein Begriff sein – vielleicht eher als Gründer der Zeitschrift „Flugasche“ denn als Lyriker. 1958 in Sivac/Jugoslawien geboren, verbrachte er die letzten Jahre seines kurzen Lebens in Stuttgart, bis er, an den Folgen eines schweren Autounfalls leidend, 1982 selbstbestimmt aus dem Leben schied.
Ossi Eichhorn veröffentlichte Gedichte in Literaturzeitschriften und den Lyrikband „DIE ZEIT STEHT STILL IN DER LUFT LIEGT EIN LEICHTER DUFT VON VERMOUTH DOCH DU FEHLST …“ (mit Graphiken von Eva Wünsch). 1988 erschienen in der von Axel Kutsch und Michael Rupprecht herausgegebenen Anthologie „Wortnetze“, die Erich Fried und Ossi Eichhorn gewidmet war, vier seiner Gedichte mit der sein lyrisches Werk prägenden kraftvollen Verwendung von Alltagsparlando.
Ein Erforscher von Trivialmythen sollte Hoch- und Populärkultur souverän miteinander verbinden.
A.J. Weigoni über das Projekt „Gossenhefte„. Diese Gossenheftreihe des Krash-Verlags präsentiert eine Ästhetik der Nichtpriviligierten und zeigt die Kehrseite einer Kultur, ihr Anderes, Verleugnetes, Verbotenes und Begehrtes. Diese Literatur beschäftigt sich mit dem Anderen in dieser Doppeldeutung und holt etwas in die Kultur zurück, was den Ausgrenzungen zum Opfer gefallen ist. Sie nimmt sich dessen an, was eine gegebene Kultur von dem abgrenzt, was sie als Gegenkultur oder Unkultur betrachtet.
In den 1990ern knüpfen junge Autoren mit der Social-Beat-Bewegung an den alten Geist der Beat- und Underground-Autoren an. Der unermüdliche Aktivist Michael Schönauer hat für den Social Beat in etwa die Bedeutung, die Josef „Biby“ Wintjes für das Nonkonfirmistische Literarisches Informationszentrum hatte. Die „Underground-Anthologie“ Downtown Deutschland wird als die Geburtsstunde des Social Beat angesehen. Diese Cover-Version einer „Jugendbewegung“ wurde 1993 als Schlagwort des Berliner Literaturfestivals „Töte den Affen“ von Jörg A. Dahlmeyer und Thomas Nöske, abgeleitet von der amerikanischen Beat Generation, Charles Bukowski ist gleichfalls ein Vorbild. Der Aktivist Michael Schönauer schuf sodann wesentliche Strukturen für die Social Beat-Szene. Aber das ist eine andere Geschichte.
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Light and Other Poems, by Ruth Weiss, San Francisco : Peace & Pieces Foundation, 1976
Weiterführend →
Obwohl die nonkonformistische Literatur ehrlich und transparent zugleich sein wollte, war gegen Ende der 1960er nur schwer zu fassen, die Redaktion entdeckt die Keimzelle des Nonkonformismus in der die Romantiker-WG in Jena. Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.