Da hatt ich einen Kerl zu Gast,
Er war mir eben nicht zur Last,
Ich hatt so mein gewöhnlich Essen.
Hat sich der Mensch pump satt gefressen
Zum Nachtisch was ich gespeichert hatt!
Und kaum ist mir der Kerl so satt,
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
Über mein Essen zu raisonnieren.
Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, firner der Wein.
Der tausend Sackerment!
Schlagt ihn tot den Hund! Es ist ein Rezensent.
„Indem Goethe seine Leser auffordert, die Rezensenten totzuschlagen, entpuppt er sich als ein Anhänger der Todesstrafe und als ein Gegner der Meinungsfreiheit; überdies ist auch der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Und warum das alles? Kaum war das Gedicht „Rezensent“ gedruckt, da wurde Goethe öffentlich belehrt. Der Dramatiker Heinrich Leopold Wagner, den vor allem die Tragödie „Die Kindermörderin“ bekannt gemacht hat, publizierte ein Gegengedicht, das mit den Worten endet: „Schmeißt ihn todt, den Hund! Es ist ein Autor der nicht kritisiert will sein.“, schrieb der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki über dieses Gedicht. Seine Rezension ist in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Januar 1990 im Rahmen der dort von Reich-Ranicki herausgegebenen Rubrik „Frankfurter Anthologie“ erschienen. Dieser Beitrags ist zudem 1992 im Insel Verlag erschienenen: Johann Wolfgang Goethe: Verweile doch. 111 Gedichte mit Interpretationen. Herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.