Dichter auf dem Markt der Persönlichkeiten

 

Eine Bekanntheit, die nicht durch Medien, akademische Wissenschaft oder Kollegen aus der literarischen Nomenklatura legitimiert ist, zieht in der Regel die Abneigung der letzteren nach sich. Das Schaffen der Schriftsteller außerhalb des Mainstreams, das nicht mit dem ästhetischen Geschmack der Anerkannten und Anerkennenden übereinstimmt, wird mit Begriffen wie »Anachronismus«, »Banalität«, »Unsinn«, »Outsidertum« usw. bewertet. (…) Die Macher der Medienliteratur, die bestimmte literarische Gruppierungen bilden, welche in der Regel aus Stiftungsvorständen, Kritikern, großen Verlagen, Hochschulprofessoren, Jurymitgliedern diverser Wettbewerbe, Leitern von Literaturvereinen usw. bestehen, bestimmen die Verteilung finanzieller Mittel und reglementieren streng den Beitritt neuer Mitglieder nach einem Klan-Prinzip (bewerben sich, schreiben Kritiken, verlegen, verkaufen, vergeben Preise nach dem Grundsatz »wie ich dir – so du mir«) und blockieren des öfteren den neuen Anwärtern den Zugang zu Verlagsmöglichkeiten, Preisen usw. Dieses Phänomen bekam bei den Teilnehmern des Literaturprozesses den Namen Literaturmafia. (…) Man glaubt, daß die Gruppe 47 einen großen Beitrag zur Entwicklung der Medienlandschaft geleistet hat. Wie K. M. Rarisch feststellt, hat eben in bezug auf sie der Schriftsteller R. Neumann in dem Magazin »konkret« zum ersten Mal den Ausdruck »Literaturmafia« benutzt. Rarisch verwendet diesen Begriff in zahlreichen Pressepolemiken sowie auch in literaturwissenschaftlichen Aufsätzen. Die Vertreter der Literaturmafia sind seiner Meinung nach Figuren, deren Schaffen nach einer unausgesprochenen Abmachung keiner Kritik unterliegt: offizielle Kritik und Literaturwissenschaft wagen es nicht, gegen Autoren solchen Ranges aufzutreten. Rarisch selbst unterwirft einer höhnischen Kritik die Gedichte von U. Kolbe, im besonderen in der Parodie auf dessen Gedicht »Ausflug ohne Muse«; er führt Beispiele von Plagiaten an bei K. Krolow und G. Grass. (…) Kritische Angriffe gegen bekannte Dichter, deren Werke nicht hochkünstlerischen Kriterien entsprechen, wirken sich meistens nicht auf die Qualität ihrer nachfolgenden Gedichtbände aus und auf die Anzahl der Literaturpreise, die sie bekommen. So sieht U. Kolbes Gedicht »Ausflug ohne Muse«, das vom Suhrkampverlag und von der Zeitung »Tagesspiegel« beworben wurde, aus wie eine Selbstparodie auf die formale und inhaltliche Leere der postmodernistischen Transitweltempfindung. (…) »Als Autor« (Rarisch schreibt hauptsächlich Sonette, und R. Wohlleben, nicht nur Verleger, sondern auch alter Freund und Kollege Rarischs, spezialisiert sich mit seinem Verlag genau auf dieses Genre – T. Kudrjawzewa) »bin ich für andere Verlage uninteressant. Das Manuskript eines meiner Gedichtbände schickte ich allen einschlägigen Verlagen (über 100); als Resultat bekam ich nur Absagen ohne Begründung bzw. mit der Bemerkung: Die Gedichte sind makellos in der Form, jedoch …; oder es folgte überhaupt keine Antwort …« (…) Es ist interessant zu bemerken: Während Rarischs Gedichtband »Die Geigerzähler hören auf zu ticken – 99 Sonette mit einem Selbstkommentar« 1990 mit einer Auflage von 500 erschien, die bis heute nicht verkauft ist, erreichte der Band »Novemberland – 13 Sonette« von G. Grass zwei Auflagen innerhalb eines Monats. 2003 wurde K. M. Rarisch auf Initiative der Zeitschrift »Zirkular – am Zeitstrand« als Anwärter für den prestigeträchtigsten Literaturpreis in Deutschland vorgeschlagen, für den Büchnerpreis. Die Initiatoren dieser Kandidatur räumen jedoch ein, daß es eine hoffnungslose Sache sei (…) Jedoch liegt es nicht nur an der Konventionalität der von Rarisch gewählten poetischen Form. Nicht zuletzt spielt beim Ignorieren der Werke des Dichters durch die Haie des Verlagsbusiness die inhaltliche Seite eine Rolle. Die sozialkritische Ausrichtung von Rarischs Sonetten (wie der Dichter selbst zugibt: »Linker als ich ist nur noch die Berliner Mauer«… harmoniert nicht mit der ideologisch faden Mainstreamproduktion, die das Bild des literarischen Marktes im modernen Deutschland bestimmt. (…) Anlaß für Rarischs Sonett »Blutiger Zwischenfall« waren die Impressionen von der Preisverleihungsprozedur beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (…) Beispielhaft ist die von K. M. Rarisch durchgeführte Analyse der Rubrik »Das neue Gedicht« im Tagesspiegel in der Zeit vom 2. Juli bis 20. August 1995. Von acht Veröffentlichungen betreffen vier die Produktion des Suhrkampverlages. Auf der Literaturseite des Tagesspiegels Nr. 15363 vom 20.8.1995 sind drei von fünf Kritiken den Büchern gewidmet, die in demselben Verlag erschienen sind. (…) Typische Wesenszüge eines durchschnittlichen deutschen Kulturkonsumenten verkörpert ein Leserbrief-Schreiber, ein Diplomingenieur. Nachdem er die große Bedeutung der Poesie für das geistige Leben hervorgehoben und Goethe und Schiller unter seinen Lieblingsdichtern genannt hatte, erklärte er seinen fehlenden Drang zur Lektüre von Gedichten mit Mangel an Freizeit.

 

 

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Dichter auf dem Markt der Persönlichkeiten im gegenwärtigen Deutschland, von Tamara Kudryavtseva

Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur

Weiterführend Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses  post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.