Monat: November 1995

ABEND

  Wenn der Abend uns bezwingt Und die Klage in uns singt: Fühlst der bangen Seele Flug, Weißer Mädchen Atemzug. Fremd ist Friede, fremd der Streit, Wann entrinnen wir der Zeit? Und kein Alter macht uns klug: Fühlst der Seele…

HERMANN SCHÜRRERS BEGRÄBNIS

  es ist ein kalter tag jetzt mitten im dezember   der regen peitscht die tränen vom gesicht   der sarg steht schlicht und einsam hier im raum   kein priester der dich segnet kein kreuz kein kerzenlicht   noch…

Vorübergehn

  Das Haus flackt in den Sternen Mein Schritt verhält und friert. In deinem Schoße schläft mein Hirn. Mich fressen Zweifel! Voll Schattet deine Büste in dem Fenster Das Spähen hüllt mich lautlos Die Sterne streifeln glühes Eisen Mein Herz…

Erste Signale von der anderen Seite

    Ich kenne das. Es erkennt mich am Hören. Wie es mich wahr- nimmt ist es schwer zu verstehn. Wie es ankommt, verhört es, verhöhnt es das, was es kennt.         Angelika Janz Weiterführend →  Lesen Sie…

Zwielicht

  Dämmrung will die Flügel spreiten, Schaurig rühren sich die Bäume, Wolken zieh’n wie schwere Träume – Was will dieses Grau´n bedeuten? Hast ein Reh du lieb vor andern, Laß es nicht alleine grasen, Jäger zieh’n im Wald’ und blasen,…

DER FRIEDHOF AM MEER – III

  Sie sind zergangen in des Nicht-Seins Dichte. Die rote Erde trank das Andre, Lichte, das Leben weiß, daß es in Blumen soll! Wo sind die Worte, die den Toten fehlen, wo ihre Künste, die besondren Seelen? Die Larve spinnt,…

5

es hat zwar Schreie gegeben und Rennen doch, – ja, – doch den Wald der Duldung kein Herz, – kein Tasten, – keine Mulde das findet sich wieder im rissigen Grund niedergetreten geht es weiter in Kenntnis des Bedarfs fallen…

Edition YE

YE (sprich: jii) steht übrigens u.a. als altenglisches (und heute im Irischen noch gebräuchliches) Pronomen für YOU, also Du, ist somit komplementär zum lyrischen Ich zu sehen und vermittelt mit einem Wort das künstlerische Programm der Edition YE, die Kontakt,…

Abschiedsrede

  Freunde! hört man’s allerorten, Freunde! tönt’s in allen Worten; Freunde! heute ist die letzte Stunde. Lobend hört aus meinem Munde, wie schön es war, bei Euch zu sein! Freunde! Prost bei Sekt und Wein! (Glas heben und trinken. Pause)…

ÜBERSCHAU

nur das gewitter der geruch die zeit der weht und tanzt ist frei also mild und gerecht und vergeht doch nicht die elemente schlagen an die tür mir der gesalbte die mumie der stifter der henker der retter in mir…

An die Freude

  O Freunde, nicht diese Töne! sondern laßt uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere. Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum! ||: Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt; alle Menschen werden Brüder, wo…

Zwei Soldatenlieder

  In einem totenstillen Lied vom Weh zum Wort die Frage zieht: Wer weiß wo.   Wer weiß, wo dieses stille Leid begraben liegt, es lärmt die Zeit vorüber so. Sie schweigt nicht vor der Ewigkeit und stirbt und ist…

Etuede

  Hauchzarte Haut Geifernde Geilheit   Hirnloses Hecheln Garstiges Gezischel   Hastiges Hinterhermotivieren Grummliges Gegeifer   Hemmungsloses Hangeln Grimmige Genugtuung   Haltloses Hineinzœgern Grinsende Gier   Hirnlose Hingabe Glutvolles Gleiten in:   die Mitte des Schweigens     *** Wiederbeatmung,…

FALLSCHIRMSPRUNG MEINER BEGLEITERIN

  Wie sie den Fallschirm mir zeigt und erklärt, Kann ich nur halb zuhörn und zusehen. Ich muß daran denken, wie ganz verkehrt Oft Frauen mit ihren Schirmen umgehen. Ich bin doch sonst kein solch Angstpeter. Aber nun – –…

DER FRIEDHOF AM MEER – II

  Die Seele, Sonnwendfackeln preisgegeben, halt ich dich aus mit meinem ganzen Leben, Gericht des Lichts, das keine Gnade kennt! Und du kommst rein an deine erste Stelle! O Eintagsspiegel!… Doch wer schenkte Helle, der sie als Hälfte nicht vom…

Ich muß

  Ich muß die schwarzen Worte der Schwäne aufschreiben. Die goldene Karosse am Ende der Allee teilt sich, fällt um und schmilzt auf der regenfeuchten Straße. Eine Wolke bunter Schmetterlinge fliegt auf und erfüllt den Himmel mit ihrem Getön. Ach,…

Die Dichtung

  Die Dichtung ist dann die höchste Form der Versinnlichung des Geistes, die aber über sich selbst hinaussteigt und in die Prosa des Denkens hinübertritt. Georg Wilhelm Friedrich Hegel     Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts-…

Erkenntnis zentraler Denkkälte

    Hier die Luft. Da das Atmen. Dort die Haut. Darunter Fleisches Schwellen.   Schwingend dem Zufall entwendet, zwischen den Schichten wiederum Luft. Bei Ankunft pulsierender Austausch; vernetzter Notsignale Gebinde.       Weiterführend → Lesen Sie auch das Kollegengespräch,…

Gadji beri bimba

  gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini gadji beri bin blassa glassala laula lonni cadorsu sassala bim gadjama tuffm i zimzalla binban gligla wowolimai bin beri ban o katalominai rhinozerossola hopsamen laulitalomini…

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  und von nichts wissen wie Flieder der aus Filigran geritzt nein aber: meine Adern unter der viel zu dünnen Haut       *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht…

Hektik

  Deine klebrige Masse Die übermütigen Anpassungen der Engen Atmungshalme deiner Oberhaut du erstrahlst Wie eine Göttin in silbernen Ummantlungen Oder eine bestimmte Note Bei einem Gesang   Das Seinspensum wie eine Lache Aufgefangen von den Kehrseiten Der Durchzugsblätter hast…

Eine Sprache finden, ein deutsch/deutscher Dialog

  WEIGONI: In deiner Vita lese ich, dass du zwischen 87 – 91 am Literaturinstitut Leipzig studiert hast, vor und nach der Maueröffnung, hat sich das auf das Studium ausgewirkt? HOLGER BENKEL: das leipziger literaturinstitut wurde, in einer aufbruchsphase, die…

Farawayland

    wir gehen schwimmen im November weit weg ist der Sommer an den wir gerne denken der sich selbst erfindet da wo wir von Liebe reden Arm in Arm und nicht viel davon verstehen warm wie Muskat fühlt sich…

DER FRIEDHOF AM MEER

  Dies stille Dach, auf dem sich Tauben finden, scheint Grab und Pinie schwingend zu verbinden. Gerechter Mittag überflammt es nun. Das Meer, das Meer, ein immer neues Schenken! O, die Belohnung, nach dem langen Denken ein langes Hinschaun auf…

Wie Tote liegen aufgebahrt im Tag die Tage

    Wenn mal der Spiegel, der Dich täglich zeigt, Von früh bis abend in die Leere schweigt, Und alle Fenster ohne Dich ans Licht hintreten, Und Deine Schritte mir im Ohr verwehten, Und keine Tür den Händedruck von Dir…

Zu spät gekommen

  Die Uhr im Schulhof sah beschädigt aus durch meine Schuld. Sie stand auf »zu spät«. Und auf den Flur drang aus den Klassentüren, die ich streifte, Murmeln von geheimer Beratung. Lehrer und Schüler dahinter waren Freund. Oder alles schwieg…

Baumarktopfer

  Seit einigen Wochen hat Herr Nipp ein neues Hobby. Als schlichtes Gemüt, das er ja eigentlich ist, fällt es ihm normalerweise nicht schwer, wirklich Gefallen an einer Tätigkeit zu finden. Ist das aber einmal so richtig passiert, dann vollständig.…

Abendland

Else Lasker-Schüler in Verehrung   1 Mond, als träte ein Totes Aus blauer Höhle, Und es fallen der Blüten Viele über den Felsenpfad. Silbern weint ein Krankes Am Abendweiher, Auf schwarzem Kahn Hinüberstarben Liebende. Oder es läuten die Schritte Elis’…

ich habe mich erinnert

  Weiterführend →  Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung…

Notiz

  Die Tapeten im Dunkeln lesen lernen, den Blick auf die Farne dem Tode voran, die Schatten, alle die unsern Abenden leuchten.     *** Ein redaktioneller Hinweis auf: Verschenkter Rat. Gedichte von Ilse Aichinger. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuchverlag, 1991, S.…