Dies stille Dach, auf dem sich Tauben finden,
scheint Grab und Pinie schwingend zu verbinden.
Gerechter Mittag überflammt es nun.
Das Meer, das Meer, ein immer neues Schenken!
O, die Belohnung, nach dem langen Denken
ein langes Hinschaun auf der Götter Ruhn!
Wenn Diamanten aus den Schäumen tauchen,
wie rein die feinen Blitze sie verbrauchen,
ein Friede, scheints, besinnt sich seiner Kraft!
Stützt sich die Sonne auf des Abgrunds Schwingung,
als reines Werk der ewigen Bedingung
wird Zeit zum Glanz und Traum zur Wissenschaft.
Stetiger Schatz, Minervens Tempelhülle,
Vorrat der Ruh und alles Schauens Fülle,
hochmütiges Wasser, Aug, das, flammend wach,
bedenkt, wie es so großen Schlaf verhehle,
o meine Stille!… Bau in meiner Seele,
doch First aus Gold mit tausend Ziegeln, Dach!
Tempel der Zeit, im Seufzen gleich versöhnter,
zur reinen Anhöh steig ich schon gewöhnter,
um mich mein Meerblick, welcher alles tränkt,
und wie ich oben nun den Göttern spende,
ist mir, als ob der Schimmer rings verschwende
ein überheben, völlig unumschränkt.
So wie die Frucht sich auflöst im Genüsse,
Abwesenheit Entzücken wird zum Schlüsse
in einem Mund, drin ihre Form verschwand,
so atm’ ich hier von meinem Zukunftsrauche,
der Himmel singt der Seele im Verbrauche
von den Geräuschen beim vertauschten Land.
Sieh, schöner wahrer Himmel, mich verwandelt,
nach so viel Hoffart, so viel ungehandelt
Verlorenem, das doch voll Mächte war,
hab ich mich diesem Lichtraum angeboten,
mein Schatten geht über das Haus der Toten,
sein zartes Wandeln zähmt mich sonderbar.
***
Gedichte von Paul Valéry, übertragen durch Rainer Maria Rilke. Weimar: Cranach Presse für Leipzig: Insel-Verlag, 1925.
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