In einem totenstillen Lied
vom Weh zum Wort die Frage zieht:
Wer weiß wo.
Wer weiß, wo dieses stille Leid
begraben liegt, es lärmt die Zeit
vorüber so.
Sie schweigt nicht vor der Ewigkeit
und stirbt und ist doch nicht bereit
zur letzten Ruh.
In einem lebenslauten Lied
vom Wahn zum Wort die Frage zieht:
Wer weiß, wozu!
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Karl Kraus war 1914 einer der wenigen Kriegs-Gegner unter den deutschsprachigen Intellektuellen. In seiner Zeitschrift „Die Fackel“ veröffentlichte er im Dezember 1914 seine am 19. November gehaltene Rede „In dieser großen Zeit“: eine scharfe Kritik der Kriegsbericherstattung und der „Aufopferung der führenden Geister“, die den Krieg unterstützten. Sein großes Drama Die letzten Tage der Menschheit, eine „Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog“, 1922 als Buch erschienen, ist eine einzige Auseinandersetzung mit dem Krieg, mit seiner Grausamkeit und Sinnlosigkeit. „Zwei Soldatenlieder“ stellt demgegenüber in epigrammatischer Kürze vor allem zwei Fragen: „Wer weiß wo“ – nämlich, wo das „stille Leid“ des Soldaten – und für Kraus heißt das: jedes Soldaten – „begraben liegt“ und die andere, nicht nur äußerlich letzte: „Wer weiß, wozu!“
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.