Freunde! hört man’s allerorten,
Freunde! tönt’s in allen Worten;
Freunde! heute ist die letzte Stunde.
Lobend hört aus meinem Munde,
wie schön es war, bei Euch zu sein!
Freunde! Prost bei Sekt und Wein!
(Glas heben und trinken. Pause)
Zur Ferienzeit ins schöne Bonn
kam froh und stolz der Enkelsohn.
Mit Jubel, Trubel und Gesang
begann der Ferienempfang:
„Das Ulrichbübchen ist jetzt da!“
jauchzt Tante und die Großmama.
Doch fast in Ohnmacht fielen sie:
Der Enkel schlank und dünn wie nie!
Und freudig ward es allen kund:
Verschwunden sind schon 13 Pfund!
„Doch Freunde! Hört ein ernstes Wort:
Wer immer essend im Akkord
erweitert seine Körperhülle,
erleidet schreckliche Gefühle!
Doch Oma sprach ein strenges Wort:
Hunger leiden, das ist Mord!
Die erquickendste Kultur
ist stets die Apfelsinenkur!
Denn Lilo, sieh doch gleich:
Der Junge fällt ja fast vom Fleisch!“ –
In Bonn gelang kein solch Rezept –
man war im Gegenteil bestrebt,
das abgemagerte Subjekt
mit Wein, mit Pudding und mit Sekt,
mit Eis, mit Torten und mit Nüssen,
mit Wurst und Ei, und Leckerbissen,
mit Scheckereien für den Magen,
mit ausgedehnten Trinkgelagen,
mit vielem Pomp und großen Festen
den armen Enkelsohn zu mästen! –
(Pause)
Morgens hatte man um neune
noch die allerschönsten Träume,
bis man jäh durch lautes Dröhnen… (Pause)
Doch daran kann man sich gewöhnen,
denn jeder heftigliche Streit
verendete in Heiterkeit –
denn es steht schon in der Bibel:
Alles nehmen, nur nichts übel! – –
Auf einmal tönt Musikgetöse,
die Tante wurde schrecklich böse,
denn Dvoráks 6. Sinfonie
erregte keine Sympathie,
auch Mozart, Haydn und so weiter
stimmt manche Menschen nicht sehr heiter.
Die viel gerühmte Fernsehtruhe
verschaffte auch nicht immer Ruhe,
sie störte wie die Sinfonie
auch die Familienharmonie. –
Doch nach dem ersten Morgenkuss
kam gleich der schrecklichste Verdruss!
Denn leider musste man früh bis spat
zum viel gerühmten Brausebad.
Wie schön ist’s, wenn man auch zu Hause
berieselt wird von seiner Brause!
Wie schön, wenn heiß und warm und kalt
das Wasser spritzt und wäscht und wallt!
Denn auf die große Sauberkeit
verwandte ich die meiste Zeit.
Denn Duschen – ist das nicht belebend?
Ist Sauberkeit nicht stets erhebend?
Welche Wonne, wenn man lieblich düftet!
Als wenn man grade frisch gelüftet!
Auch Oma sagt: Die beste Kur
ist stets die kalte Brausekur! – –
Auf einmal tönt es laut: „Zu Tisch!“
Vom Brausebad erquickend, frisch,
schiebt man der Sitte nach gemäß
den Stuhl sich unter das Gesäß.
Schon manchen Enkels leerer Magen
hat einiges zuviel vertragen,
auch wenn die schöne Körperlinie
war: Stolz und schlank wie eine Pinie,
so war das Essen doch so lecker,
und man wurde keck und immer kecker
und schließlich ist in diesem Falle
der Magen voll, die Schüsseln alle. – (Pause)
Und als das Tagewerk vollbracht,
kam still und ruhig dann die Nacht:
Zu fortgeschrittnen Abendzeiten
begannen manche Schriftlichkeiten,
und in die Karten und in Briefen
begann sich Oma zu vertiefen,
die Briefe waren ellenlang,
fast endlos war manch Lobgesang,
fast unerschöpflich in den Themen,
in Neuigkeiten und Problemen!
Und kreuz und quer an alle Lieben
ward manche Karte schon geschrieben;
doch manche Improvisation
fand krönend ihren schönen Lohn!
Und das ist allen wohlbekannt:
Das Wesentlichste steht am Rand! – (Pause)
Am Abend dann ging’s wieder los:
Mein Ulilein ,sei lieb und groß!
Tu duschen, denn das ist belebend!
Ich sage dir: Die beste Tour
ist stets die kalte Brausekur!
Erwidernd spricht der Enkelsohn, er lehnt dies ab in scharfem Ton:
Icke mir Seife koofen,
Awer waschen tu’ck mir nich!
Doch schließlich stieg man ungehemmt
und froh versöhnt ins Abendhemd
und schob die aufgehobnen Sorgen
von Neuem auf den nächsten Morgen. – –
Zu Ostern wurde ungeahnt
ein Osterausflug schnell geplant.
Man ging zum Rhein ins schöne Unkel,
und schließlich, wenn es abends dunkel,
ging man mit Krach und mit Gesang
noch in ein andres Restaurant,
und später noch von Mal zu Mal
ging man ins Gasthaus und Lokal,
und alle tranken nur mit Gier
mal Wein, mal Cola und mal Bier.
Bei Neumann’s war es sehr feudal,
der Abschied war die größte Qual. –
Doch vorher wälzt man unbequeme
und furchtbar wichtige Probleme
und stets erquickend und erlabend
erfüllten sie den ganzen Abend.
Das Ganze war ein echtes Drama
trotz Rhein und Burgenpanorama!
Und deutlich war da zu entnehmen:
Man lebt am besten mit Problemen! – (Pause)
Schon wieder gab es ein Problem:
Nach Bonn war abgereist Madlen!
Am Abend auf dem Bahnhof dann:
Madlen kam mit dem Zug nicht an!
Man kriegt die Angst und sorgt sich schon,
betätigte das Telephon,
man fragte da, man fragte dort,
man fragte nach an jedem Ort;
sie war vermisst und alles glaubt:
Vom Neger ist Madlen geraubt;
Mit einem Schlag war alles aus:
Madlen war endlich doch im Haus.
„Vom Neger sei Madlen gefasst –
doch hat sie nur den Zug verpasst! – (Pause)
Am nächsten Tag fuhr ab Madlen
und wieder gab es ein Problem:
Am Abend rief die Tante an:
Madlen kam in Paris nicht an!
Man kriegt die Angst und sorgt sich schon,
betätigte das Telephon,
man fragte da, man fragte dort,
man fragte nach an jedem Ort.
Sie war vermisst – und alles glaubt,
vom Strek ist die Madlen geraubt.
Mit einem Schlag war alles aus:
Madlen war endlich doch im Haus! – (Pause)
Doch herrlich war es dann in Bonn
mit Großmutti und Enkelsohn.
Und sicher hat man schon gehört:
Besuch ist lästig, wenn er stört –
jedoch ist ganz im Gegenteil
Besuch, der still ist, Seelenheil.
Ich kann das von mir nicht behaupten –
es gibt noch keine, die das glaubten…
Jedoch verstanden wir zuweilen
uns ziemlich gut zu beiden Teilen:
Es ging ganz ohne Schimpf und Fluch,
ich war ein ruhiger Besuch!
Für Speise – dass man mich geduldet –
bin ich zu größtem Dank verschuldet!
Hier – bei den lieben Anverwandten –
bei Vetter, Oma und bei Tanten
konnt ich in sorgenlosen Stunden
von Schule und von Hast gesunden!
Doch Freunde! freut Euch alle schon:
Im Sommer ist der Enkelsohn
bestimmt wie’s war in alten Zeiten
bei Euch in Euren Fröhlichkeiten!
Euer Ulrich
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.