Hugo Lyck? Wer kennt den Namen? De großen Literaturlexika nicht. Ein echter Geheimdichter vom Anfang des vorigen Jahrhunderts. Ein Gedicht von ihm steht im Jahrgang 1958 der Literaturzeitschrift Akzente. Eine Rückblende:
„Hugo Lyck, auf- und untertauchend im Café Stefany Münchens, im Romanischen Café in Berlin, dazwischen Reisen nach Venedig, nach Hamburg, Breslau, das vielleicht sein Geburts- und Todesort war. Er gehörte zeitweise dem Kreis um Wolfskehl an, glich Friedrich Schlegel an Hochmut und ahnungsvollem Geist und in der Absicht, mit den höchsten Ansprüchen zu lenken. Seine Gedichte sowie ein Trauerspiel scheinen verloren gegangen zu sein. Das von uns gedruckte Gedicht ist mündlich überliefert. Das Mittelalter, die Urzeiten zogen ihn an.“ (Akzente 3/1958, S. 288)
MARIGNANO
WOHER? Wohin? So frag doch Freund!
Weißt du? Weiß nicht. So frag doch Freund!
Der Feldherr weiß. Wo ist der Feldherr?
Wir fragen Jahr um Jahr um Jahr.
Der Feldherr gab nicht Antwort,
Du blutest auch. Warum? Wozu?
Weißt du? Weiß nicht. Wozu? Warum?
So frag doch Freund. Du blutest auch!
Wir bluten Kopf an Kopf an Kopf.
Der Feldherr hat noch keine Zeit.
Zur weißen Stadt am blauen Meer.
Der Feldherr wollte kommen.
Doch kam er nicht. So frag doch Freund!
Oh weiße Stadt! Oh blaues Meer!
Den Feldherr her! Den Feldherr her!
Eine Spur von Lyck findet sich in Walter Benjamins Briefwechsel mit Gerhard (Gershom) Scholem. In einem Brief vom 17. Dezember 1921 berichtet Benjamin von einer „selten mißglückten und selten interessanten Vorlesung“. „In einem Hause in der Bendlerstraße hatte sich eine Bourgeois-Familie aus wer weiß welchen Gründen zum Vortrag die Person eines Herrn Lyk verschrieben.“ Eine Fußnote der Herausgeber sagt: „Der Deutschbalte Hugo Lyck, über den Hans Blüher, “ Werke und Tage“ , München 1955, S. 22-24, näher berichtet hat.“ Benjamin nennt das Publikum „unmöglich“ und findet den Vortragenden interessant:
„Herr Lyk, ein unbestreitbar schizophrenes Talent ist bekannt (bei solchen, die dies ihrerseits nicht sind) als eine wissensschwangere, geisterkundige, weltgereiste [!] und vollkommen esoterische Persönlichkeit im Besitze aller Arkana. Er dürfte nicht viel weniger als 45 Jahre zählen. Konfession, Herkommen und Einkommen bleiben noch zu ermitteln, und ich bin nicht faul. Dieser Herr, der sich als ein ins Verhungerte, Totenkopfhafte und nicht durchaus Reinliche verhextes „Genie“ (Felix N.) beschreiben ließe, sprach mit der Haltung (nicht aber Stimme!) eines Aristokraten aus dem alten „Simplizissimus“ über – Verschiedenes. De omnibus et quibusdam magicis. Das Debacle war vollkommen.“
Nach einer Stunde brachte man den Herrn zum Schweigen und zwei „Salonlöwen“ zerrissen ihn brutal. Als er völlig kaltgestellt an den Ofen gelehnt saß, ging Benjamin zu ihm und ließ sich seine Adresse geben. Im Moment fehlt mir die Zeit, weiter zu recherchieren. Noch einmal Benjamin: „Worüber er übrigens sprach läßt sich nur andeuten: über die herrschende Bedeutung des Melos in der Sprache. Er las auch merkwürdige Gedichte vor.“
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Briefe I von Walter Benjamin. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Gershom Scholem und Theodor W. Adorno. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1978, S. 287f.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.