TIMISOARA, TIMISOARA

 

einhundertfünfzig Mark (DM, klar, was sonst?) und keinen Pfennig drüber

denn er ist alt und defekt und wer weiß was das Reparieren kostet (Fahrt nach Budapest inklusive) ich hoffe

du siehst ein, das ich ihn nur kaufe um dir aus ärgster Not zu helfen und weil ich das Risiko liebe – komm

schlag ein – diese Geschichte, in der ein professioneller Fotoreporter

von einem Gelegenheitshändler einen professionellen Fotoapparat in tadellosem Zustand für weniger als 3 Komma 5

Prozent

seines Wertes ersteht habe ich selbst mitangesehen durch das schlecht gestopfte Loch in der Flagge Rumäniens

nach’ 89 – ich finde es traurig dass sie sich just in Rumänien zutrug und

ausgerechnet in Timisoara wo sie sich doch überall sonst hätte abspielen können

 

der Zufall der liebe gute gottverdammte wollte es auch dass Timisoara

zum Schauplatz eines anderen Gesprächs wurde zwischen geneppten Romani und Rumänen

Die ausgezogen waren ihre Ruhe sonst wo zu finden, und Ungarn und Serben und Kroaten und Tschechen und

Deutschen und Juden

allesamt sehr wohl wissend wie gefährlich es war Geld aus dem Tasche dem Portemonnaie oder gar aus dem Land

herauszuholen

ganz zu schweigen vom legalen Besitz harter Währung

die das wachsame Auge des Grenzers sicher längst entdeckt hat

im Reserverad des klapprigen Reisebusses in den verängstigten

Augen des Fahrers der zerstreuten Miene des Reiseführers

der es eilig hat seinen Bericht an den Zollamtschef abzuliefern

 

allerdings wäre es ungerecht und weit unter unseren Stand und unseren Möglichkeiten

wollten wir dies alles für reell und wahr und unabänderlich nehmen

gerade jetzt wo alles zum Wechseln ist

mehr noch als Briefmarken, Geld, Hemden, Sitten und Gebräuche, Worte politischer Standpunkt

Verwaltungseinheit, Weltgegend, Geschlecht, Religion, Moral und vor

allem

 

 

         Aus dem Rumänischen von Gerhardt Csejka

 

* * *

Weiterführend Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses  post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.