DEUTSCHER TRASH

 DEF.: „trash“, „trashstories“_, literatur aus abfall, aus fundstuecken, junk-lit., welche die welt als gegebene hinnimmt + sie nicht in vorgeblicher kunsthaftigkeit darzustellen (zu simulieren) versucht.

„trash stories“ – das sind geschichten, die aequivalent zu ebensogenannter musik unpraetentioes + direkt, hart + unmittelbar am lebenspuls berichten, was ist.  was uns so passiert. in diesen naechten. oder nicht-naechten, in diesen staedten, die immer groeszer werden + so fast ganz + gar ohne menschliche identifikationsmoeglichkeiten. „trash“ als klarer abgleich der lebenstatsachen, naruralismus pur, ungekuenstelter stil – praktisch nur das, was passiert.

aus traditionszusammenhaengen wie dadaistischer lebens/kunst-identifikation (europa) + amerikanischer BEAT-lit. (z.b. in kerouacs lit.-fibel vorentworfen, s. anhang zu ON THE ROAD)  haben sich auch in deutschland ende der 60er/anfang der 70er-jahre vereinzelt ansaetze zu einer „vereinfachung“ der literatur gefunden, versuche, die literatur aus ihrem abgehobenen nicht-lebens-zusammenhang (=autonomie-status) zu befreien, sie zu einer (handelnden) tatsache des lebens (selbst) zu machen. durch das aufkommen des PUNK, des INDIE-rock der 80er haben diese ersten unternehmungen eine zunehmende verschaerfung erfahren: mehr tempo, mehr haerte + noch mehr unmittelbares leben in den texten der juengeren + juengsten generationen. hat sich auszerdem 1 originaere, deutsche schreiblust entwickelt, weiszer abfall, geschichten, die so dahinsprechen – sind es geschichten, ist es leben? – geschichten, die sich 1 eigenen (deutschen) untergrund-sprache bedienen, „hart aber herzlich“, oft ironisch, zynisch oder einfach witzig, verzweifelt oder fatalistisch, distanziert oder grenzenlos subjektiv – immer aber ohne umschweife + genau so, wie wir alle uns unterhalten, denn heute braucht es keinen sprach-knigge mehr, ums maul auf zu machen, + selbstredend will 1 solche lit. sich nicht liebkind machen bei den TV-kritiker-greisen (was sollten die auch von der heutigen welt verstehen?), sondern lieber direkt die ansprechen, welche gemeint sind. amerikanischer vorbilder bedarf es im grunde nicht: wir haben (hatten) die tradition (wenn denn ueberhaupt 1 vonnoeten waere) im eigenen land, autoren wie brinkmann, fauser, huebsch, nordhausen und jacobsen. schon das war laengst nicht nur blosze reaktion auf den `american beat´, die juengere generation aber hat damit noch viel weniger zu tun, hat ihre eigenen „chaostage“ erlebt + muss von daher kaum auf althergebrachtes/amerikanisches rekurrieren. zudem: einiges hat sich geaendert in BRD; seit den 70ern hat man sich an freiheiten gewoehnt + nimmt sie sich bei bedarf; die wiedervereinigung hat diese tendenz letztlich bestaerkt. denn trotz aller restaurationsbemuehungen laesst sich auch diese geschichte nicht mehr zurueckdrehen. WIR WISSEN, WAS WIR WOLLEN, DENN UNS IST KLAR, WIE WIRS KRIEGEN KOENNEN! zum beispiel es in worte zu fassen.

1 vergleich, der eh allmaehlich stinkt, aber deutsche lit. dieser bandbreite stets in pejorativem sinne trifft (mit charles bukowski, diesem lustigsten aller trivialschriftsteller), sollte sich eruebrigen. klar: wer heute in d´land „ficken“ + „scheisze“ sagt, wird mit diesem `odeur´  sich allenthalben befassen muessen. gerade deshalb sei hier 1x gesagt: „ficken“ + „scheisze“ sind bestandteil unserer sprache, es gibt diese worte  seit mehreren 100 Jahren. und bei bukowski kommen sie vor, weil sie jemand uebersetzt hat. es ist einfach unsinnig, wenn mit dem verweis darauf ein fuer allemal jegliche deutsche faekalsprache zur `no-go-area´ erklaert wird (und nicht zuletzt wohl ausdruck 1 politischen absicht). ich meine, faekalsprache kann `cool´ sein, ist aber definitiv nicht selbstzweck. wer die sache beherrscht, bringt selbst alltaeglichste begriffe zu vollendeter haerte (+ braucht gar nicht so tief in die siffkiste zu greifen). dass  faekalsprache auftaucht, ist wiederum kein wunder, tatsaechlich reden  wir (alle) so, nur nicht die zeitungen. das bringt die sache einfach auf den punkt, auf den die zeitungen es eben nie bringen. und deshalb ist das dann lit. + nicht tatsachen-journalismus.

„unverkrampft“ ist auch 1 gutes wort: weil es schlichtweg schwachsinn ist, hinter allem nur amerika, amerikanische einfluesse zu vermuten + es ist auch 1 zeichen von identitaetsunsicherheit (womoeglich sind gerade die, welche bestaendig nach diesen sedimenten suchen, die eigentlichen opfer des amerikanischen kultur-imperialismus).  wer „trash“ schreibt, laesst sich nicht sagen, ob er/sie wie/was zu formulieren hat, es gibt keine ausgeklammerten bereiche der sprache. zwar ist „trash“ 1 anglo-amerikanisches wort, doch nur weil „abfall“ nicht recht zum gattungsbegriff taugt. der bedeutungshof  ist ueberdies bereits umrissen in der musik, dem film, und von daher leicht auf die lit. zu uebertragen: es geht um geschwindigkeit, ums ausgehustete, es geht ums unmittelbare der existenz. nur wo du richtig nackt + bar aller illusionen + schminke bist, kannst du „trash“-dichter/in sein.

„trash“ behandelt den abfall in unserem land, die dinge, die sonst nirgends erwaehnt werden; oder leute, fuer die sich sonst keiner interessiert. das sind aber auch fabeln, die manch 1 selten erlebt oder bizarre geschehnisse, an die manch 1 noch nicht 1x denkt. weil in diesem leben mehr moeglich ist, als man fuer moeglich haelt. es ist sogar mehr moeglich, als man fuer unmoeglich haelt. von daher braucht man im grunde nicht zu luegen, das reale ist mitunter gute literatur. natuerlich ist das 1 offensive zuwiderhandlung: verweigerung von fabulierkunst + fiktionaler dichtung. stattdessen eher, was gestern an meinem schwarzen freitag die ganze sache so unglaublich beschissen gestaltete oder aber wieder rausriss. heiszt das, gute „trash-lit.“ muss selbst erlebt sein? was ist erleben, was ist geschehen/nicht-geschehen, was ist wirklichkeit? sagen wir so: es muss sich jedenfalls so anhoeren, als sei es (so) geschehen. ist also ultra-realismus. peinlich genau penibel. wird gerade das genannt, was sonst der erwaehnung nirgendwo wuerdig. ultra-realismus. supra-naturalismus. + beides wieder nicht.

man kann nie 1 geschichte so schreiben, wie sie „wirklich“ passiert ist. man kann sie so schreiben, dass sie wirkt, wie wirklich passiert. man muss sie so schreiben, wie sie nicht passiert ist, damit sie so wirkt, wie wirklich passiert. am ende steht so oder so immer nur 1 version, 1 fiktion – niemals die realitaet.

das heiszt daher auch, dass 1 „trash“-geschichte nicht prinzipiell „einfach-sprachlich“ sein muss: sie kann vom stil + inhalt her traumatisch verzerrt, halluzinogen (=supra-naturalistisch) daherkommen – denn auch derartiges liegt im bereich des wahrnehmbaren, im bereich alltaeglicher paranoia, des mentalen „hyperraums“. das gleiche gilt fuer komplexere montage-verfahren – dies ist laengst keine verstiegene avantgarde-technik mehr, sondern montage ist 1 zeiterfahrung.

soviel zur literarisierung. kunst kommt von koennen (wiener/bayer/ruehm), das ist fuer „trash“ letztlich genausowahr wie fuer „richtige“ lit.

die schreibart „trash“ in ihren gegenwaertigen erzeugnissen (bestimmter independent-, social beat-autor/inn/en oder sprachattackier/inn/en) will den beweis antreten, dass abseits der kalkulierten + staubtrockenen archive erkluegelter lit. 1 literarische wirklichkeit existiert (oder anders formuliert: dass es auch fuer die lit. 1 leben nach dem tod gibt).

was wird, weisz keiner.

aber: gefuellte laeden, der allgemeine (publikums- + medien)-`run´ auf  lebendige lit, lebendig vorgetragen, lassen darauf schlieszen, dass es endlich vorbei ist mit „buchhandlungslesungskultur“ oder sich ihr jedenfalls 1 bestaendige alternative beigesellt: lit. fuer die, die unsere eltern eigentlich lieber nicht reinlassen wollten. oder fuer die, bei denen sprache 1 normales instrument ihrer zynischen existenz ist. oder fuer die, welche zwar lesen gelernt haben, aber ansonsten weiter keinen wert darauf gelegt haben. oder sogar fuer die,  die nicht 1x wissen, was 1 buch ist. dann naemlich sind wir in dem richtigen ding: der verwischung der fronten, leute, welche die sache fuer bare muenze nehmen, weil es ihr leben ist, keiner ahnt mehr, was ist lit., was ist real, geschichten steigen aus den buechern + sehen uns an, wie langjaehrige bekannte. es ist echt. es ist falsch. es ist echt falsch.

 

 

***

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde geschrieben und veröffentlicht als Vorwort zur Anthologie German Trash, Galrev Verlag 1996 (herausgegeben von Enno Stahl).

Weiterfühend →

In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Lesen Sie auch den Artikel Perlen des Trash über 25 Jahre Gossenhefte und das Vorwort zu Trash-Piloten von Heiner Link. Ebenso verwiesen sei auf Trash-Lyrik.