„Niedrige Wolken, Grauer Himmel, trübes Wetter; – diese Land- schaft entspricht der Stimmung einer niedergedrückten Seele und eines hoffnungslosen Herzens. Meine kleine, leise huschende und schnell Trippelnde Stundenfrau ist eben fort und hat meine Briefe mitgenommen. Ich habe gefrühstückt und sitze nun gesammelt am Schreibtisch. Ist die gewissenhafte, gründliche Arbeit nicht doch das, was am wenigsten trügt?
Ich fühle mich in meiner neuen Wohnung noch nicht recht heimisch. Ich habe die Dinge, die ich brauche, Bücher oder Papiere, Kleidungsstücke oder Stiche, nicht gleich bei der Hand. Dann weiß ich noch nicht, was ich mit meinem Hauptzimmer anfangen soll, auf das ich doch am meisten rechnete. vieles liegt herum, sperrt oder wackelt – kurz, der Zigeuner wider Willen ist noch nicht häuslich eingerichtet. Und doch wäre etwas Behaglichkeit ganz nett.“
Liest Herr Nipp im intimen Tagebuch des Henri-Frédéric Amiel. Er kann sich in die Situation herein versetzen. Nein, natürlich hat er keine Zugehfrau, soweit käme es noch, die Bücher sind bekanntlich inzwischen zumindest zum größten Teil untergebracht. Aber der Rest stimmte zufällig heute gerade. Er fand nichts wieder, denn das Wohnzimmer sollte renoviert werden, dazwischen ein Ständer mit trocknender Wäsche. Lediglich an seinem Rückzugsort, dem Schreibtisch fühlte er sich wohl. Wenn es darum ging, die Wörter voller Gedanken in eine Ordnung zu bringen, wenn es darum ging zu arbeiten, dann konnte er sich völlig aus dieser Situation heraus denken, konnte alles um sich herum vergessen und war ein freier Mann. Meistens allerdings nutzte er die Wohnung lediglich als Schlafgelegenheit und verbrachte die meiste Zeit des Tages an anderen Orten, die ihn davon ablenkten, dass es mal anders gewesen war.
***
Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019
Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421