Trash. Abfall? Literatur als Abfall? Literatur, die wie Abfall daherkommt? Wohl kaum. Es geht eher um den Abfall, der sich häuft, Prospekte, Hauswurfsendungen – Laufmaschen, breiten sich aus und verschwinden unterm Rock, Rentner in langen Mänteln stehen vor den Kaufhäusern und verteilen Reklame für Hantelgymnastik und Karate-Kurse … was verteilen literarische Rentner? Marxzitate? Gemeinplätze? Eine überaus aktuelle Frage, die der 1975 verstorbene Rolf Dieter Brinkmann da gestellt hat.
KUNO verweist auf die bedeutende Anthologie Trash-Piloten mit einem kundigen Vorwort von Heiner Link:
Bekannterweise lösten sich in den 50er/60er Jahren amerikanische Autoren, die sogenannten Beatniks, von literarischen Konventionen und leiteten so ein neues Literaturverständnis ein. William Burroughs und Jack Kerouac sind da beispielsweise zu nennen. Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla haben die literarische Entwicklung in den USA der sechziger Jahre mit der 1969 erstmals erschienenen Anthologie ACID ja eindrucksvoll vorgestellt und damit die Entwicklung auch für die deutsche Literatur in Gang gesetzt. Doch das Schreiben abseits von literarischen Normen und feuilletonistischen Zwängen konnte sich hier nicht richtig durchsetzen. Bis heute ist ein freier, unabhängiger literarischer Ansatz überwiegend im sogenannten vor- oder nichtoffiziellen Bereich zu finden. Innerhalb des Literaturbetriebes herrschen andere Töne. Bezeichnend dafür ist beispielsweise die 1989 losgetretene und bis heute hartnäckig anhaltende Debatte über den desolaten Zustand der deutschen Gegenwartsliteratur. Während da in routinierter Verzweiflung die Rettung unserer Literatur proklamiert wird, während die Reflexion über Literatur nach und nach den Stellenwert der Literatur selbst einzunehmen droht, ist parallel zu dieser merkwürdigen Form von Verwaltung in den 90ern eine auffällige Schreiblust/Wut/Intensität ausgebrochen, die vor allem demonstriert, daß Literatur in unserem Medienzeitalter anders definiert werden muß und keineswegs gerettet zu werden braucht. Es ist Bewegung im Spiel.
Ausdruck findet diese Bewegung beispielsweise in den so populären Poetry Slams, Leseveranstaltungen in Clubs, Bars oder Musikkneipen, bei denen jeder lesen kann, das Publikum urteilt. Raus aus den verstaubten Lesesälen lautet die Devise. Man hat den Schauplatz gewechselt, und das Publikum und die Autoren demonstrieren ein Interesse am gesprochenen Wort, das selbst Skeptiker aufhorchen läßt. Der unwahrscheinliche Erfolg dieser dieser aus den USA importierten Pop-Idee ist jedoch nur 1 Anzeichen für ein geändertes literarisches Bewußtsein. Auch die intensive und ungebrochene Arbeit von Klein/Kleinstverlagen und Herausgebern verschiedenster Literaturmagazine, die emsiger als je zuvor nicht ins Schema passende Literatur publizieren, fällt auf. Unzählige Verleger arbeiten da am Main- und Geldstream vorbei und kümmern sich ohne jede realistische Erfolgsaussicht und ausschließlich der Sache verpflichtet um Literatur, um diesen herrlichen Anachronismus in unseren kybernetischen Zeiten. Ein weiteres Beispiel: In der Social-Beat-Bewegung haben sich bundesweit Autoren und Sympathisanten zusammengeschlossen, um ihre Vorstellung von Literatur zu realisieren. Mittlerweile finden regelmäßig und republikweit gut besuchte und rege Beachtung findende Social-Beat-Festivals statt.
Doch dies sind nur Indikatoren, insgesamt treten auch ausserhalb dieser Szenarien verstärkt Autoren auf, die sich in der traditionellen Literatur nicht mehr adäquat vertreten und aufgehoben fühlen. und deshalb eigene literarische Wege gehen. Gemeinsam ist diesen Autoren die Erkenntnis, daß die Literatur mit den alten Zöpfen alleine nicht überlebensfähig ist, zumindest nicht in wünschenswerter Form. Es ist nicht leicht, mit und neben Medien wie Fernsehen, Kino und globale Bildschirmkommunikation zu existieren, umso mehr wundert es, daß sich die Debatte über den Zustand unserer Literatur meistens in den sattsam bekannten Grabenkämpfen der Erzähl- und der Kontemplationsfraktion erschöpft. Eine dritte (oder gar vierte, fünfte…) wie auch immer geartete Ebene wird nicht einmal ansatzweise in Erwägung gezogen. Daß unsere Literatur vielleicht gerade deshalb ein Problem hat, weil man den germanistischen Muff einfach nicht ablegen will und der akademische Duktus gegenwärtige Wahrnehmungen in der Literatur ebenso wenig umfassend transportieren und auflösen kann, wie der dogmatische Rückzug auf den Realismus in Form traditionell orientierter Erzählformen. Sakral umwölkte oder poetisch überrüstete Literatur? Für Trash-Autoren kann das nicht die Fragestellung sein.
Die Autoren, die man unter dem Begriff Trash subsumieren kann, stammen aus den unterschiedlichsten Ecken und weisen verschiedenste Ansätze auf. Wahllos aufgezählt und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit könnte man da Fanzine-Autoren, Musiker, Journalisten, bildende Künstler, Selbstverleger, Slam-Autoren, Filmemacher, Social-Beat-Aktivisten, pop-sozialisierte und/oder fueilleton-genervte Schriftsteller nennen. Breitgefächert tätig zu sein, ist mittlerweile ebensowenig ein Problem, wie das vermehrte Auftreten von Autoren, die irgendwelchen „bürgerlichen“ Berufen nachgehen, im Leben stehen, sich also ebenfalls nicht auf den Autonomiestatus „Schriftsteller“ festlegen lassen wollen. Ein geänderter Typus Schriftsteller bahnt sich da an, heterogener und letztendlich auch auf- bzw. abgeklärter. Vielseitigkeit ist nicht mehr als Zeichen mangelnder Professionalität verpönt, sondern ausdrücklich erwünscht. Auch das haben übrigens zuerst amerikanische Autoren vorgeführt, die erkannten, daß dies die literarische Arbeit durchaus bereichern kann. Das Bild des vergeistigten Literaten jedenfalls, der in einem intergalaktischen Reflexionsnebel mit dem heiligen Geist um der Weisheit letzten Schluß pokert, bröckelt.
Die hier vorgestellte Literatur ist vor allem gekennzeichnet vom unprätentiösen Umgang mit der hierzulande so idiosynkratisch angehauchten Schreibkultur. Es scheint endlich auf dem Weg gebracht zu sein, was der amerikanischen Kritiker Leslie A. Fiedler schon 1968 forderte, als er mit seinem Vortrag Cross the border, Close the gab an der Freiburger Universität für Zündstoff gesorgt hatte. Ein neuer Roman, der anti-künstlerisch und anti-seriös sein sollte, wurde da gefordert, das befreiende Vorrecht des komischen Sakrilegs postuliert. Die Kluft zwischen Künstler und Publikum sowie die Begrenzung durch die traditionelle Hohe Kunst sollte auch für die Literatur aufgehoben werden…. Das war wie gesagt 1968, und meine Intention ist es nicht, den Begriff Trash historisch festzumachen, sondern aufzuzeigen, wie aktuell Ansprüche an die Literatur sind, die schon vor dreißig Jahren formuliert wurden – und noch heute ins Feld geführt werden.
Trash-Autoren ignorieren den Buchmarktautomatismus, der auf eine uniforme Autorenriege, letztlich auf den Autor als Warenlieferanten abzielt. Dieser störrischen Haltung entspringt natürlich nicht gerade der Berlin-Roman, der Deutschland-Roman, oder gar der Roman-Roman, von dem sich nicht wenige Lektoren und Kritiker die Rettung der gepflegten Literatur erwarten. Trash entzieht sich dem Hörigkeitscharakter des Literaturbetriebes, allerdings in den wenigsten Fällen in altbekannter Revoluzzer-Manie, vielmehr in dem klaren Bewußtsein, daß Literatur mit Vorgaben gleich welcher Art nicht zu machn ist. Kein Platz für kanalisiertes Literaten-Bewußsein also, durchaus aber für populäres Material, für Umgangssprache, für komische Elemente, für neue Blickwinkel. Ästhetisiert wird Banales, Triviales, „Abfälliges“ eben. So herum ist auch die deutsche Entsprechung des Begriffes Trash zu verstehen. Nicht das Ergebnis ist Trash, der literarische Ansatz ist es. Es geht um die schnörkel- und manchmal auch taktlose textliche Identifikation/Darstellung des tagtäglichen „Idiotenkarusells“. Trash ist also auch keine Anti-Literatur in dadaistischem Sinn. Es ist die Wahrnehmung von Bewußtseinsabfall, die mehr denn je nötig ist und natürlich keineswegs als Szene- oder Generationserscheinung zu begreifen ist. Hier sind wir in den 90er Jahren an einem vorläufigen Höhepunkt angekommen, der mit traditionellen Mitteln nur schwer auszuleuchten ist.
Trash-Autoren nehmen in Kauf, vom Literaturbetrieb und damit einer breiteren Öfentlichkeit nicht oder kaum wahrgenommen zu werden. Es gibt andererseits kaum Berührungsängste mit größeren Verlagen, man mag sich allerdings keinesfalls zum Geschichtchenerfinder degradieren lassen, der den Verlagen über seine Durchschnittskompatibilität den Erfolg beschert, der sofort diejenigen aus dem Schlaf rüttelt, die ja schon immer behauptet haben, Qualität setze sich schließlich durch. Daß sich Qualität oft nicht durchsetzen kann, ist evident, lässt sie sich doch meist schlecht verkaufen. Freilich bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel. Die Frage ist: Wollen wir eine Literatur, die aus Ausnahmen besteht?
Trash soll hier weder als Patentrezept noch als eigenständige literarische Gattung hingestellt werden. Trash ist das Label für einen wieder erstarkten literarischen Ansatz, einen literarischen Sound der 90er, nicht mehr aber auch nicht weniger! Wenn man so will, eine Etikettierung dessen, was sich in den 90ern verdichtet hat. Trash ist auch nicht ausschließlich Underground- oder Avantgardeliteratur. Was heißt schon Avantgarde? Kunst schreitet nicht fort oder voraus, Kunst weitet sich, dehnt sich aus. Und Trash-Literatur ist der jüngste Beitrag in dieser Richtung.
Was sich in anderen künstlerischen Ausdrucksformen längst durchgesetzt hat, nämlich die Verschränkung von Kunst und Leben, beispielsweise als Grenzüberschreitungen der Hoch- und Subkultur, ist in unserer Literatur überfällig. Langsam, eher schleichend mehren sich die Stimmen, die sich ein produktiveres Verhältnis der Literatur zur Popkultur wünschen, Stimmen, die äußern, daß die Energie „Pop“ längst weite Bereiche unserer Gesellschaft durchdrungen und zu einer ganz bestimmten Art zu denken, zu fühlen, kurz zu leben geführt hat und sich deshalb logischerweise auch auf die Literatur auswirken muß. Langsam (und eher schleichend) wundert man sich darüber, daß dieser Einfluß in der deutschsprachigen Literatur nicht auffälliger ist … In Zeiten, in denen Hip-Hop, zumindest große Teile davon, längst Mainstream ist, muß man sich fast fragen, ob dies nicht längst überholt ist. Die Notwendigkeit, die literarischen Erkundungen auch an Erscheinungen zu orientieren, die unser aller Leben unmittelbar betreffen, wird mittlerweile zwar mehr oder weniger bereitwillig eingeräumt, jedoch noch lange nicht konsequent genug konkret umgesetzt. Noch wird da dem obsoleten Dualismus Literatur hier, Leben dort das Wort geredet, werden dort Formalien hochstilisiert – Unterhaltsame Erzähler müssen her – letztlich schwelgt man in frappierender Orientierungslosigkeit und ist weit davon entfernt, eine Ausweitung des Literaturbegriffs zuzulassen. Die Unterhaltsamkeit der Literatur wird übrigens oft genug alleine deshalb unterdrückt, weil jede Form von Humor für viele Fachleute in ambitionierter Literatur nichts zu suchen hat. Wahrscheinlich ein deutsches Problem, sicher jedoch ein Zustand, der nicht gerade gerettet zu werden braucht.
Daß dies alles überhaupt noch formuliert werden muß, zeigt, wo unsere Literatur heute noch immer steht: Im Schatten zuvieler hemmender Einflüsse, externer Ansprüche und Erwartungen. Es bleibt zu hoffen, daß sich eine Autorenriege etablieren kann, die sich von all dem freischaufelt, denn wer heute publizieren will, ist zweifellos mit diesen Zwängen konfrontiert. Wenn Unterhaltsamkeit in der Literatur, die ja niemand wirklich ablehnen kann, nicht in erster Linie Verfilmbarkeit oder generell Verwertbarkeit meint, wenn Autoren sich darauf besinnen, dem von unserer Medienlandschaft angebotenen Zerrbild alternative Wirklichkeitsversionen zeitgemäß entgegen zu stellen, wenn akzeptiert wird, daß die Literatur nicht einfach stehenbleiben kann, wo sich alles andere bewegt, ändert, wird die Weitung des Literaturbegriffes nicht lange auf sich warten lassen. Wie hieß es so schön bei Leslie A. Fiedler:
Schluß mit dem Gejammer, es ist höchste Zeit fürs Sakrileg!
Klingt doch irgendwie altbacken.
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Trash-Piloten: Texte für die 90er. (Hrsg. von Hainer Link), Reclam, Leipzig 1997
KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Daher sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso eindrücklich empfohlen wie Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf die Trash-Lyrik.