Literatur und Widerstand

Es war einmal eine Zeit, da wollten Schriftsteller etwas verändern; mit ihrem Schreiben, indem sie schrieben, mit ihrem geschriebenen Wort, aber auch als Staatsbürger, oder ganz einfach als Personen, als Menschen. Da war es klar, daß sie sich einmischen wollten, ja einmischen mußten, als Schreibende, als politisch denkende Individuen. Sich einmischen – in Staat und Gesellschaft, in Bewußtseinsprozesse, solche hervorrufen, beeinflussen, steuern – das war die Parole.

Und das war jedem verständlich, begreifbar, als Forderung, als Notwendigkeit, als Ziel. Der engagierte Schriftsteller war das Ideal, hier wie dort; jeweils anders bezeichnet. Hier vielleicht als der Aufmüpfige, der Nonkonformist, der Neinsager. Dort, in anderen Ländern und unter anderen Ideologien und Regimen, hieß er und war er ganz einfach der Dissident. Geliebt und geachtet waren beide bei den Herrschenden – hier wie dort – nicht, ganz im Gegenteil. Man antwortete hier wie dort auf die Unverschämtheiten, auf das Sicheinmischen, auf die Ruhestörung, auf den Widerstand eben, mit entsprechenden Repressalien, hier mit Karriere- und Wohlwollensentzug, manchmal ohne wirkliche Effizienz, dort aber mit Gefängnis, Folter, Irrenhaus, KGB-Methoden des staatsparteilichen Terrors. Doch das Gewissen ließ sich nicht unterdrücken, nicht einschläfern, nicht wegreglementieren. Das Gewissen war wach, war stark, meldete sich zu Wort. Zumindestens das Gewissen gab Rückhalt, war in seiner Aktivierung im Wort eine Basis, auf der man sich traf, treffen konnte in Solidarität zu gemeinsamem Widerstand; gegen die Herrschenden, gegen die Unterdrücker, gegen den Ungeist der Zeit, gegen Lüge und Manipulation. Man war sicher, weil man ja auch verifizieren konnte, daß man eine Waffe, nämlich das Wort, in der Hand hatte, ein Aufklärungs- und Informationsinstrument, mit dem man die alles verdeckenden Lügen, die Verleugnung der Wahrheit durch eine allumfassende Staats- und Parteipropaganda oder die jede Wirklichkeit verzerrenden Schönredereien und phrasenhaften Parolen des Staats- und Wirtschafts-, ja Gesellschaftsapparates samt seines strategisch eingesetzten Medienapparates wirksam bekämpfen konnte, man dies tun mußte, weil dies notwendig erschien, weil es notwendig war. Und man glaubte an die Notwendigkeit dieses Widerstandskampfes, man glaubte an seine Wirksamkeit, man hoffte – manchmal verzweifelt, aber nie mutlos – auf einen Sieg.

Das alles ist vorbei, ist ‘Schnee von gestern’, wie das manche nennen würden; dies noch dazu mit dem ironisch-dummen Zeitgeist-Lächeln des Besserwissers; dessen der ‘drübersteht’, der zwar nicht die Wahrheit gepachtet hat, der aber über den sogenannten ‘Überblick’ verfügt, zu jeder Zeit und in jeder Situation. Der Zeitgeist-Schriftsteller, der Clevere, nicht der Betroffene, der Verzweifelte. Nein, der Sprachkunstguru, der Wortjongleur, der Literaturideologe; der auf allen Bahnen siegt, vom Bachmann-Wettbewerb bis hin zum Staatspreis. Mode und Zeitgeist, nicht nur in der Gesellschaft, sowieso schon längst in den Medien und im medienwirksam gestalteten Staatsspektakel der Politik, das ist jetzt gefragt, das ist die neue Linie, die neue Doktrin, das neue Outfit; auch in der Literatur. Und schön cool bleiben! Auch wenn da und dort die Welt brennt, die Gewaltregime da wie dort am Ruder sind, Menschen ausgebeutet, unterdrückt, all ihrer Rechte beraubt werden oder – wie in den langen Flüchtlingskolonnen im afrikanischen Urwald, auf der Flucht vor Militärzivilisation – ganz einfach verhungern und zugrunde gehen. ‘Schön cool bleiben!’ – Das ist die Devise. Oder „sich die Betroffenheit in den Arsch stecken“, wenn man von einem Dichterfürsten dazu öffentlich aufgefordert wird.

Was ist da noch mit Widerstand? Wer soll da gegen wen oder gegen was noch widerstehen, und wozu auch? Kann mir das jemand sagen? – Ich habe kein Verhältnis zu Fetischismus und Zynismus. Ich beziehe daraus mit Sicherheit keinen Lustgewinn. Aber eines: Ich bin ob solcher Haltungen, ob solcher Wandlungen, ob solcher Verluste – ist das Wort hier überhaupt angebracht, oder muß man nicht richtiger sagen: ob solcher Wegwerfhandlungen? – betroffen. Und diese Betroffenheit stecke ich nicht weg. Nein, diese Betroffenheit schlägt bei mir in Wut und Zorn um. Und auf Grund meiner eigenen Erfahrung weiß ich, daß daraus Widerstand wächst, jedenfalls meiner. Und ich hoffe, daß ich dabei nicht allein bleibe. Ich werde jedenfalls alles tun, um diesen Widerstand aus mir hinauszutragen, ihn zu propagieren und zu verbreiten. Es muß ein Widerstand sein gegen die überall um sich greifende Gleichgültigkeit, gegen diese Haltung des Unbeteiligtseins, des Nichtengagements, gegen den Zynismus, gegen einen solchen Zeitgeist; auch und vorallem in der Literatur.

Ich rufe auf zum Widerstand gegen eine Literatur, gegen Schriftsteller und Schreibende, die ihre Verantwortung nur mehr auf den Bereich der Sprache, des Sprachspiels, der Kunstsprache, eben nur der ‘reinen Kunst’ eingegrenzt und veranschlagt haben wollen. Dies aus meiner Überzeugung und in Berufung auf die Gültigkeit des Prinzips und des Gebotes, daß der Schriftsteller für mehr verantwortlich ist als nur für die Sprache und die Literatur, eben für mehr als die Kunst; weil er nicht nur der Kunst, sondern auch der Gerechtigkeit, der Freiheit, den Menschenrechten verpflichtet ist. Und dies mit seiner Kunst oder auch ohne seine Kunst. Egal wie. Die Verpflichtung jedenfalls besteht; ob man sie wahrhaben will oder nicht. Denn neben dem Wort und über dieses hinaus gibt es noch etwas, das zählt und an dem wir gemessen werden, nämlich: das Handeln!

Vortrag zum Thema „Der beharrliche Widerstand des Schreibenden“

Österreichisches P.E.N.-Zentrum, Literaturhaus Wien, 29.4.1997

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