Eine Anwienerung im Sturm
Doktor: Verzeihen Sie, was bedeuetet das Wort Merz? (Ausmerzen warnt Iden.)
Ich: Das Wort ist neu, ich wählte es zur Bezeichnung meines neuen Stils. (Komm, spiel mit mir.)
Doktor: Woher nahmen Sie das Wort? Ich würde mir nie zutrauen, vier Buchstaben zusammenzusetzen.
Ich: Ueberwindet Merz Schwierigkeiten. Merz nannte sich selbst. (Automatischer Kohlensäuretrockenlöscher „Total“.) Können Sie lesen? (Hier auf dem Merzbild.[)]
Doktor: (Berliner Leichtathletikmeisterschaften.) Lesen? Manchmal, wenn das Wort einen soliden Sinn hat. Ich liebe das Wort „solide“. (Berliner Ringkämpfe.) Das Wort Merz ist aber unsolide, ist reiner Zufall. (Junges Mädchen total automatisch.) (Ob er auch gesund ist?)
Ich: Das Wort entstand im streng organischen Schaffensprozeß der Kunst. (Nationales Kreisschwimmfest.)
Der solide Doktor: Warum schreiben Sie das Wort nicht selbst? Ich schreibe doch meine soliden Artikel auch selbst. (Mir können Sie sogar noch schwierigere Aufgaben stellen.) (Ob er mich liebt?) Und stehe doch nicht im organischen Zusammenhang mit der Kunst (weil einfach die Preise nicht festzustellen waren).
Ich: Quer durch Neukölln (Gelb steht mir nicht).
Der Doktor: Ich sage einfach: „So und so und so macht man Kunst, und wer das nicht so und so und so macht, drückt einfach nichts Empfundenes aus.“ (Die Ostmark ist in höchster Gefahr.) Sie verzeihen wohl meine vielen Fragen, ich sammle nämlich Brocken, (Riesenidiot) weil ich sonst nicht weiß, was ich schreiben soll. (Nieder mit dem pourquoi, hoch warum.) Mir liegt eben eine solide Brockensammlung mehr, als eine Kritik. (Ein ausgeruhtes Köpfchen.) (Blaue Maus.) Und wenn ich diese Brocken dann feierlich rahme, und wenn ich diese Brocken dann feierlich rahme, (Ein unbegreiflich solider Klebstoff.) dann dann brauche ich nur noch: „Auch eine Kunstausstellung“ darüber zu schreiben, (Süßer und saurer Kitsch.) dann habe ich einen soliden Artikel für die Neue Berliner. Sehen Sie, Stiefelschmiere kann ich nicht fabrizieren. (Du auch nicht.) [I]ch wüßte auch nicht, woher ich einen soliden Namen dafür nehmen sollte. (Berliner Boxkämpfe.) Kritiken kann ich nicht schreiben, der Effekt wäre die Leistung eines unverhältnismäßig anständigen Oberlehrers mit untauglichen Mitteln. (Vollblut.) Darum schreibe ich solide Artikel. (Storch zahlt gute Preise.) (Wir wollen Ernst machen.) Sehen Sie, eine Kritik ist ein Wagnis. Mir liegt aber eben eine Silberbleiregatta nicht. Ich wage solide Artikel. (Fordern Sie Prospekte.) Ich zetere Mauerblümchen. (Lesen Sie den Sturm.) Leben Sie die Zeitschrift Der Sturm? (Regenwurm zetert.) (Das Heiligste ist bedroht.) (Das Heiligste ist bedroht.) Aber sonst Thema unbequem. (Das Heiligste ist bedroht.) Wissen Sie, über Titel lassen sich so feine Artikel schreiben, solide Artikel. (Artefacte.) Wo ist der Zusammenhang zwischen Ihren Bildern und meinen Artikeln? (Der Meisterboxer von Deutschland als Hundeschlächter.) Wo ist der Zusammenhang zwischen Ihren Bildern und meinen Artikeln?
Ich: Sehr. Lieber Herr, sehr. Du Deine[r] Dich Dir. Ich habe Sie so gern. (Werde mein!) Und muß Ihnen Kummer bereiten!
Der Doktor: Wo sind die Zusammenhänge? (Amorsäle.)
Ich: Sehr. Zusammenhänge sind schwer. Es tut mir so sehr. Ihretwegen sehr. (Herausforderungskampf Cohn-Wiener–Anna Blume, Anfang 8 Uhr.) Der Titel ist ein Schutzwall. (Morgen kommt mein Schatz.) Sol[i]de Oberlehrer können nicht darüber hinwegsehen. (Boxmeisterschaft von Europa.) Ein Kritiker aber übersteigt den Wall und sieht, was dahinter ist. (Mauerblümchen.) (Ob er weiß, wi[e] ich ihn liebe?) Vor dem Wall ist Wind, hinter dem Wall ist Sturm. (Neuzeitliche S[i]edelung.) Ich würde Ihnen darum raten, bleiben Sie, du lieber Doktor, lieber Herr Doktor, Lieber lieber Vor vor dem Wall wall. (Anna Blume hat ein Vogel vogel.) (Ob ich ihm so gefalle?)
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Das literarische Werk von Kurt Schwitters. Quelle: Der Sturm, 10. Jahrgang, Heft 5 (August 1919), S. 76–77
Kurt Schwitters entwickelte unter dem Kennwort Merz ein dadaistisches „Gesamtweltbild“. Er starb am 8. Januar 1948 in Kendal, Cumbria, (England)
Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur, sowie ein Recap des Hungertuchpreises.