In den Regalen aufgestapelt finden sich konsumtempelkilometerweise abermillionste Tüten mit Chipsen und anderen Abendsnacks. In den mittleren Reihen immer die etwas teuren, für alles andere muss man sich schon etwas bücken. Oben die Lagerware zum Nachfüllen. Es scheint weiterhin abgemacht zu sein, dass die Billigprodukte durch ihre Aufmachung immer auch genauso wir- ken, zuviel oder zuwenig Dekor. Das Passende, in die Zeit passen- de wird nur von den großen Marken erreicht. Übrigens ist das auch bei anderen Produkten nicht anders und hat natürlich ein Stück weit System. Allzumal dort, wo sowohl das teure wie das billige Produkt von einer Produktionsstraße kommt, nur irgendwann aus- einander läuft und verschieden eingetütet wird. Da kann es dann schon einmal passieren, dass die Chips einer Kartoffel in drei verschiedene Preisgruppen aufgeteilt werden. Vereinfacht gespro- chen kann man es so denken. Natürlich nicht, wird jetzt jeder Produzent sagen. Die Preise sind schon von der grundsätzlichen Qualität der Produkte her berechtigt. Dass es in der Wirtschaft in mehr als nur der Chipsindustrie immer wieder zu Mischkalkula- tionen kommt, muss nicht erwähnt werden. Das ist ein Gemeinplatz.
Herr Nipp stand nun ganz unbedarft vor einem dieser Regale, sein Freund (der ihm das Auto geliehen hatte) hatte darum gebeten, wenn er schon einkaufen gehe, dann doch bitte bitte eine Tüte Chips mitzubringen. Er schritt nach kurzer Besinnung das Regal ab, wie ein stolzer Soldat, der das Ford Knox zu bewachen hat. Überlegte, welche Sorte wohl am besten schmecken würde. Las die Aufschriften, die alle so verführerisch klangen: ungarisch, orientalisch, mit Sauercreme und Schnittlauch, gesalzen, gesalzen und gepfeffert. Besah sich die Bilder, die Dekore, die Aufmachung, Qualität des Verpackungsmaterials. Das Wort auf einer der Tüten ihn grundsätzlich neugierig.
Auf der Fahrt zu seinem Freund überkam ihn der absolute Chiphunger, er öffnete die Tüte, griff eine Hand voll und stopfte sie unbedacht in den Mund. Nur zwei Sekunden später hätte er schreien können, handelte es sich doch um Wasabichips.
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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019
Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421