Wir waren im selben Gymnasium und Internat, im Kollegium Petrinum in Linz-Urfahr. Allerdings besuchten wir nur ein paar Klassen dort. Denn dann sind wir beide aus der Anstalt hinausgeflogen. Ich ging nachher nach Dachsberg, das keine Eliteschule war wie das Petrinum, sondern eine Art Auffanglager für viele woanders Gescheiterte, von denen auch ich einer war. Der Alois ging zu den Salesianern auf den Freinberg in Linz. Später studierte er Germanistik in Wien. Er wohnte im katholischen Studentenheim in der Ebendorferstraße. Dort besuchte ich ihn einmal. Da hat er mir ein Bild geschenkt: „Die toten Seelen“ nach Gogol; schemenhafte Totengesichter ähnlich wie auf dem Turiner Leichentuch. Das habe ich heute noch in meiner Sammlung. Nach seiner Promotion zum Dr. phil. war der Alois einige Zeit an einer Uni in Saarbrücken, glaub ich. Von Zeit zu Zeit hatten wir einen kurzen Briefwechsel. Dann ging der Alois als Uniprofessor nach Klagenfurt, schrieb und publizierte jedes Jahr fleißig und regelmäßig ein Buch und wurde so ein viel gelesener Autor. Einmal, bei einer Lesung von mir in der Landhausbuchhandlung in Klagenfurt, hat er zu meiner Lesung eine Einleitung gemacht. Da hat er auch von meinem Elternhaus gesprochen. Also muß er es gekannt haben. Vielleicht hat er mich einmal dort besucht, ich weiß es nicht mehr. Wenn ich früher manchmal auf dem Nachhauseweg von Wien nach Haslach über Pichl bei Wels gefahren bin, habe ich an den Alois Brandstätter gedacht; denn dort hatte er sein Elternhaus, das er zu seinem Refugium gemacht hat. Jetzt sind wir beide Siebzig. Er hatte eine große Geburtstagsfeier mit Bischof, Landeshauptmann, Honoratioren. Ich habe meinen auch in meiner Heimat, im Mühlviertel, „gefeiert“. Ich bin dort spazierengegangen, über die schmalen Wege durch die Wiesen und durch den Wald in meiner von mir so sehr geliebten Landschaft, was mir lieber ist als jede Feier.
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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010