Man ist ja an Vieles gewöhnt. Von Zeit zu Zeit aber hat man doch den Wunsch, diesen oder jenen sublimen Ausspruch ein wenig festzunageln. Schreibt da unlängst der Kunstkritiker der »Neuen Freien« (die übrigens von jeher in diesem Fache einen Record nach unten behauptet hat) anlässlich der Tina Blau-Ausstellung etwa Folgendes: Man finde da recht hübsche Sachen, müsse aber der Künstlerin den Rath geben, sie möge sich die modernen Mittel der Malerei mehr zu eigen machen, wenn sie den Anspruch erheben wolle u. s. w., u. s. w. Man wird schwerlich die beiden oben erwähnten Eigenschaften des Kunstkritikers in einer reineren Form darstellen können, als sie in diesem Ausspruch eines edlen Gönners zu finden sind. Tina Blau, die bis jetzt von Kritik und Publicum eben wegen ihres modernen Empfindens vernachlässigt worden war, und die vor zwanzig Jahren schon – in ihrer Weise natürlich – die Principien der Worpsweder und Glasgower Schule angewendet hat!
Sind aber die meisten Kunstkritiker schon in puncto einfachen Tadels oder Lobes unzuverlässig, so wird die Sache gar possierlich, wenn sie sich aufs Prophezeien verlegen oder die Dinge sub specie aeternitatis zu betrachten anfangen. Der Aristoteles unserer »Zeit« leistet bekanntlich hierin Hervorragendes. Man erinnert sich noch, wie er von den in einem lächerlichen Deutsch abgefassten und auf Büttenpapier gedruckten Pubertätsempfindungen eines Kalksburger Gymnasiasten feierlich erklärte: In vierzehn Tagen wird Europa von diesem Buche sprechen! Das Wort bekam Flügel, aber das Buch ist längst von der Oberfläche verschwunden. Jetzt erklärt derselbe Herr ein Bild von Klimt in der Secession (den »Schubert«) schlankweg für das beste Bild, das je ein Österreicher gemalt hat. Nun, so schlecht ist das Bild wieder nicht, und der gute Herr von Dumba, der auf seine alten Tage seine Wohnzimmer secessionistisch ausschmücken lässt, braucht es nur ein bischen ins Dunkle zu hängen. Herr von Dumba als Secessionist ist überhaupt sehr amüsant. Das kam nämlich so. Er hatte die Bilder für sein Musikzimmer bei Klimt bestellt, als dieser noch in der braven Art der Laufberger-Schule arbeitete und sich höchstens ein paar Makart’sche Extravaganzen gestattete. In der Zwischenzeit war aber dem Maler der Khnopff aufgegangen, und jetzt ist er, damit die Geschichte nicht ohne Pointe bleibt, Pointillist geworden. Und das muss natürlich der Besteller alles auch mitmachen. So ward Herr von Dumba ein Moderner.
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Zuerst erschienen in: Die Fackel, Nr. 1, zuerst erschienen im April 1899.
Während ich am „Kraus–Projekt“ arbeitete, war ich mir bewusst, dass seine Form der des Online–Diskurses ähnelt, zumal zu vielen der Fussnoten ja das (via Internet geführte!); ich hatte die leise Hoffnung, dass sorgfältige Leser schon merken würden, dass das Buch das Internet selbst dann affirmiert, wenn es das Netz eigentlich angreift. Aber der Hauptgrund für die Anmerkungen ist, dass Kraus selbst der grosse Anmerker war, der grossartige frühe postmoderne Meister des Zitats und der Glosse, der direkte Vorfahr der Blogger von heute.
Jonathan Franzen