Soest

 

Gesundheit, auch wenn dabei schon mal zu viel Wein getrunken wird. Aber eigentlich ist dagegen nichts zu machen, denn er schmeckt mit Freunden einfach immer gut. Fatal wird es höchs- tens, wenn keine Chance mehr gesehen wird, eigenständig ins Bett zu finden, weil nie gewusst wird, welcher der beiden vor einem liegenden Wege gegangen werden sollte. Wahrscheinlich würden beide Wege zum Ziel führen, das sagt schon die Erfahrung der letzten Jahre. Mit großer Anstrengung kann die Optik denn auch justiert werden, den rechten Weg zu sehen, dies allerdings nur für Momente, um daraufhin in die gewohnte Fehlstellung zurück zu rutschen.

Herr Nipp hatte an diesem Abend in dieser verträumten Klein- stadt namens Soest sogar übernachtet, unverantwortlich wäre es gewesen noch den Zündschlüssel zu drehen, sich und anderen der Gefahr auszusetzen. Soviel Vernunft besaß er inzwischen, ließ schon nach zwei genossenen Gläsern Wein den Wagen stehen, machte sich meist zu Fuß auf den Heimweg. Er hatte sich nun aber in das großzügige Gästezimmer zurückgezogen und war sofort in einen traumlosen und tiefen Schlaf gefallen, morgens mit dicken Kopf früh aufgewacht, hatte er Wasser getrunken und den Kopf mit einem kalten Schwall derselben Flüssigkeit übergossen, dann hatte er seinen Gastgebern einen Abschieds- und Dankbrief geschrieben und war hinaus getreten, in die Idylle einer historisch wertvollen Stadt.

Er war durch all die kleinen Gässchen gelaufen und hatte sich schnell verfranst, kam an Orten heraus, die nicht absehbar gewesen waren. Trotzdem alles schön. Hatte diese besondere Architektur genossen, die Kleinparzellen betrachtet, renovierte Mäuerchen begutachtet, den freigelegten Soestbach, der nur zum Teil Wasser

führte. Die wundervollen Kirchen unter Augenschein genommen und sich gewundert dass alles sauber war. Auch der Wallweg, ab- gesehen von den Hundeschissen, ein kleines Paradies. Morgendlich taufrisch. Nur Menschen waren ihm in der stillen Idylle nicht begegnet. Schade eigentlich, sie hätten ihn wissen lassen, dass er kein Geist in einer Geisterstadt war.

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421