Garagenrock

 

Einfachheit ist stilbildend. Eine unterschätze Variante der Rhythm & Blues  ist der Garage Rock. Es ist eine einfache, ungeschliffene Form, meist schnörkellos und straight gespielt. Die Songs bestehen häufig aus wenigen Akkorden, die sich immer wiederholen. Außerdem sind oftmals mehrstimmige Gesangsharmonien, hymnische Melodien und harte, verzerrte Gitarrenklänge für diesen Musikstil typisch.

Prototypisch sind The Feelies aus Haledon, New Jersey. Es sind Provinzler, die eigentlich  sehr öffentlichkeitsscheu waren so traten sie in der Regel nur an Feiertagen für Konzerte auf die Bühne. Sofern man den Augen- und Ohrenzeugen glauben darf, spielten die Feelies bei ihren ersten Gigs im CBCB’s Garagenrock im besten Sinne. Die vier Musiker sahen dabei im Unterschied zu den Rotzlöffelpunks höchst adrett aus, in ordentlichen Kragenhemden statt T-Shirts und sauberen Bundfaltenhosen statt zerrissenen Jeans; zwei von ihnen trugen Kassengestell-Brillen à la Buddy Holly. Nach dem Konzert sagen die Kritiker sangen Loblieder und stellten die Feelies in eine Reihe mit Television, Velvet Underground und den Talking Heads.

Die Band brachte 1980 ihre erste Single Fa Ce La heraus, die jemand bei Stiff Records hörte. Die Band erhielt einen Vertrag, und Stiff veröffentlichte kruze Zeit später das erfrischende Album Crazy Rhythms, das nichts von den typischen Rock-Attitüden hat, keine gespielte Lockerheit, keinen Swing, keine Bad-Boy-Attitüde,. Das Bandporträt auf dem Cover zeigt eine himmelblauen Leere, es ist langweilig und unheimlich. Es sieht aus wie eine deplazierte Darstellung von vier Nerds, deren engster Kontakt zur Rockmusik durch die Proben in der Garage besteht.

Wie der Name Crazy Rhythms ankündigt liegt die Essenz des Albums auf den Percussion-Tracks von Anton Fier. Becken und Hi-Hats werden fast völlig ignoriert – zu kathartisch, zu protzig. Fast jeder Track ist mit einem trockenen Refrain aus Kuhglocken, Claves, Holzblöcken, Glocken und Maracas überspielt. Der Schlagwerker schlägt im Morsecode auf seinen Tom-Toms die Worte „NOT TIRED YET NOT TIRED YET NOT TIRED YET“ hin und her.

Der Fokus und die Richtung des Sounds liegen auf den Gitarren von Mercer und Million, die auf dem Rythmusteppich eine anspruchsvolle, engagierte und unendlich spannungsgeladene Musik auftragen. Die erste Single „Fa Ce‘-La“ und das Stück „Original Love“ – nehmen die Anmutung von Popsongs an: ein paar Minuten, ein paar Teile, eine Strophe, ein Refrain. Die anderen Songs ähnelten jedoch eher den Kompositionen von Steve Reich, es ist eine Musik, die durch Anschwellen, Schattierungen und Wiederholungen Dramatik erzeugt, ohne Höhen und Tiefen herauszuarbeiten. Die längsten und fesselndsten Titel des Albums – „Forces at Work“ und „Crazy Rhythms“ – scheinen sich weniger zu verändern als vielmehr zu erweitern.

Die Feelies klingen auf Crazy Rhythms inspiriert und zielstrebig. Mark Abel, der das Album gemeinsam mit Mercer und Million produzierte, nannte sie „die eigensinnigsten Menschen, die ich je getroffen habe“. Mercers Gesang ist ein Bewusstseinsstrom, der unter dem Schimmer der Gitarren summt. „Als Gitarrist“, sagte er, „habe ich kein großes Bedürfnis, mich als Sänger auszudrücken“ – eine Behauptung, die einen glauben lässt, dass die Gitarrensoli ein Feuerwerk werden, und das ist nicht der Fall. Bei den Feelies ging es nicht um Feuerwerk. Es  geht ihnen darum an Feiertagen in die umliegenden Städte von Haledon, New Jersey zu fahren, um ihren Variante von Rhythm & Blues auf Konzerten in kleinen Hallen spielen.

 

 

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Crazy Rhythms, The Feelies, 1980 (nun auf CD erhältlich!)

Kassengestell-Brillen à la Buddy Holly

Weiterführend  Der Musikkritiker Ben Watson bezeichnet „Zappas Mothers of Invention“ als „politisch wirksamste musikalische Kraft seit Bertolt Brecht und Kurt Weill“ wegen deren radikalem, aktuellen Bezug auf die negativen Aspekte der Massengesellschaft. So besehen war Frank Zappa neben Carla Bleys Escalator Over The Hill einer der bedeutendsten und prägendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Gehört Miles Davis nicht dazu? Oder ist Fake Jazz das Eigentliche?

In der Reihe mit großen Blues-Alben hören wir den irischen Melancholiker. Hören den Turning Point, von John Mayall. Vergleichen wir ihn mit den Swordfishtrombones, von Tom Waits und den Circus Songs von den Tiger Lillies. Unpeinlich Deutsche Texte von Ton, Steine, Scherben. Wir ertasten auf KUNO den Puls des Motorik-Beats. War David Gilmour ein verkappter Blueser?

Des Weiteren: Eine Sternstunde des Rock’n’Roll. Eine Betrachtung von Both Sides Now. Lauschen der ungekrönten Königin des weißen Bluesrock. Und im Vergleich dem Lizard-King. Erweiternd ein Porträt der Gorgeous Queen of Ruhrgebeat-Trash. Wir warten nach Heavy metal thunder nicht auf den Blitz, um den Göttern des Donners eine Referenz zu erweisen. Thrash Metal ist das Resulthat der Verschmelzung der Energie und Geschwindigkeit des Hardcore Punk mit den Techniken der New Wave of British Heavy Metal. Wir verorten die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum. Oder war es doch der Garagenrock? Wann hört der Substance von Punk auf? Wann beginnt der Post-Punk? Ist das bereits New Wave?

The oldest sister with transistors was Laurie Anderson. Ihre jüngere Schwester im Geiste ist ein isländischer Kobold. Charmant an den Ambient Chansons von Mona Lisa Overdrive sind die Stücke, auf denen die Sängerin Nicole Vogt dem Material mit einer etwas fernen, wehmütigen Stimme eine Seele einhaucht. Geschlagene 16 (in Worten Sechzehn) Jahre lang kursierten unter den gewöhnlich gut eingeweihten Szenenkennen diverse Gerüchte um das unveröffentlichte Album Gift aus dem Jahr 2000. Es sollte seinerzeit Pia Lunds zweites Solo-Album nach ihrer Trennung von Phillip Boa & The Voodooclub werden. Lundaland, ihr Solo-Debüt von 1999, hatte die Kultsängerin als elegante Vorreiterin des verspielten Elektrobeats etabliert. Der Pyrolator aus Berlin erhielt in Anerkennung seines Lebenswerks das Hungertuch für Musik 2013. Eigentlich könnte: Dylan gut ohne den Nobelpreis für Literatur weiterleben und -arbeiten. Er ist auch kein genuiner Kandidat, insofern er halt kein ‚richtiger‘ Schriftsteller ist, sondern ein Singer-Songwriter. (Heinrich Detering)

Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch. Daher auch schnellstens der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe

 

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