Dia\log

 

Leben in Zeiten einer kreativen Flaute. Peter Meilchen und Haimo Hieronymus gehen eher das Risiko ein auf Nebengleisen zu fahren, als Trends hinterher zu laufen. Sie verbringen als desillusionierte Idealisten die Zeit nicht damit, sich über das Wie und Warum der Dinge zu befragen, sie interessieren sich für das Werk, nicht für seinen Gegenstand.

„Ein Strich in der Landschaft!“, so lehrt der Volksmund, sei ein dünner Mensch. Tritt man etwas weiter zurück, wird aus dem Strich eine Linie und der Betrachter stellt sich vor die Frage gestellt: Wo endet Schrift, wo beginnt die Zeichnung, wo wird Kunst zum Zeichen, wie weist sie über sich hinaus – in die Welt?

Haimo Hieronymus hat neben der Zeichnung einen ausgeprägten Hang zum Künstlerbuch. Das Schreiben und das Zeichnen sind in der Welt der realen Virtualität verwandt, man drückt einen Stift auf das Papier und hinterlässt Spuren. Das Signum wird zum Signifikat, Papier zum Träger von Informationen, der Betrachter wird so zu einem stillen Zwiegespräch herausgefordert.

Landschaft ist das, was Peter Meilchen und Haimo Hieronymus verbindet, das Wissen, das Wissen darum, dass die Provinz das ist, was DeutSchland zusammenhält. Augenfällig wird das in der grossformatigen Arbeit Erden. Langsam, still und leise wird der Boden unter unseren Füssen weggezogen. Der Asphalt ist die Schminke für die Landschaft. Die Erde wurde mit Beton zu gespachtelt. Der Zustand des Ackerlands verschlechtert sich fortwährend. Ein in sich geschlossener Nähstoffkreislauf ist längst der Profitmaximierung geopfert worden. Wir haben die Ohrmuscheln mit wasserabweisendem Wachs versiegelt und uns in das Schneckenhaus der Privatheit geflüchtet. Land unter!

 

„Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte“, auf diesen Slogan der Fotoindustrie sind viele Menschen hereingefallen, inzwischen wissen sie, dass sie es sind, die diese Bilder befragen und zum Sprechen bringen. Es gibt Milliarden von Fotos, darunter sind wenige Bilder. Peter Meilchens Provokanz liegt in der Selbstverständlichkeit, mit der er einer fragmentierten Welt ganzheitliche Erfahrungen abgewinnt. Seine Arbeiten befragen die reine Abbildfähigkeit der Fotografie und führen den Prozess der Entstehung auf dessen Ursprung zurück.

In der Fieberhitze einer allseitsaufkommenden Bedrohung scheint Rückzug ratsam. Mit voller sich erdrückender Gedanken allein zu bleiben und warten bis der Kopf wider frei wird. Einstweilen sind die schönen Künste überflüssig geworden. Der Kulturbetrieb könnte sich in den nächsten Jahrzehnten mit der bereits vorhandenen Kunst beschäftigen, ohne das neue Arbeiten entstehen müssten. Und genau darin sehen Peter Meilchen und Haimo Hieronymus eine grosse Chance, künstlerische Autonomie auszuprägen. Compressing the shit out of it, um es Neudeutsch zu sagen.

 

 

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Dialog, Ausstellung von Peter Meilchen und Haimo Hieronymus im Kunstverein Dorsten 2000, Vorwort des Katalogs von A.J. Weigoni.

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Cover: Ein Frühlingel von Peter Meilchen

Anmerkung der Redaktion: Verblüffenderweise floß dieser Text nicht in das Projekt Wortspielhalle ein, das in der Edition Das Labor erschienen ist. Diese Sprechpartitur wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel zum Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können nach und nach hier abgerufen werden.