Normalerweise trifft man an jedem ungewöhnlichen Ort dieser Welt irgendwelche Bekannte. Sei es nun am Brandenburger Tor in Berlin, was noch nicht so ungewöhnlich ist, sei es auf einen so- genannten 3000er Gipfel in den Dolomiten, den man zum ersten Mal bestiegen hat, dort wird man fast zwangsläufig einen seit Jahren verzogenen Nachbarn treffen, der just auch an diesem Tag zum ersten Mal gleiches getan hat. Sei es auf einer entlegenen Blumenwiese im Tschamintal den Chef des Konkurrenzunternehmens, der versucht hatte, einen anzuwerben, während man gerade dabei ist, eine seltene Pflanze zu fotografieren.
Herr Nipp dachte über solche Dinge gerne nach. War es nicht sogar so gewesen, dass eine liebe Freundin irgendwann in einem Hamburger Hotel mit ihrer besten Freundin dinierte, als der klein- stadtbekannte „Schwabel“ samt Frau dort auftauchte?
Hatte nicht ein bekannter Fotograf in einer Nebenstraße in Frankfurt an der Oder Dias über die Stadtentwicklung gemacht und bei einer Vorführung wurde es im Publikum plötzlich laut, weil eine Frau ihren Mann mit seiner Geliebten in enger Umarmung erkannte?
Hatte einer seiner ehemaligen Kameraden nicht in Südamerika einen Jugendfreund per Zufall wieder getroffen und sich dort mit ihm zerstritten; hatte nicht sein ehemaliger Chef im Griechenlandurlaub zufällig neben einem der Angestellten gewohnt?
Der Volksmund sagt: Die Welt ist klein.
Nur an diesem ganz speziellen Tag in einem der beliebtesten Möbelhäuser der gesamten Umgebung war niemand zugegen, nur Fremde, sagte die Freundin, dabei hätte es doch herrlichen Gesprächsstoff für die ganze Stadt gegeben. Das Schicksal lässt sich einfach nicht fordern.
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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019
Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421