Melancholie in Klammern

 

Ich empfinde mein Leben, das ich in materieller Sicherheit führen kann, in anderer Hinsicht nicht so leicht. Zwar bin ich, denke ich, nur wenig gefährdet von mir selbst, aber ich wirke viel leichter, als ich wirklich bin, und meine wachsende Melancholie ist nicht nur die Schwermut beginnenden Alters. Ich sollte froher im Leben stehen, aber das gelingt mir nicht. Kleines Versagen schon setzt mir sehr zu, die kleine alltägliche Angst oder Nachgiebigkeit, falsche Güte, auch Faulheit manchmal. Auch Konflikte, in denen ich, wenn sie sich zuspitzen, zuviel Offenheit investiere. Mir tun die täglichen Missverständnisse und gegenseitigen Verletzungen unter den Kollegen sehr weh. Nur durch die Vielzahl der Handlungen, an denen ich beteiligt bin, ergibt sich eine ertragbare Welt, in der wenigstens das relativ Gute aufscheint.

Allein im Kunstwerk kann ich eine gewisse Vollkommenheit erreichen, mein vielfältiges Scheitern aufwiegen und, umgekehrt, das Scheitern der anderen ertragen, meine Hölle und deine. Ich bin nicht so pessimistisch wie Schopenhauer, es geht mir besser, weil ich das Glück habe besser vernetzt in die Menschenwelt zu sein als er, und weil ich Menschen kannte und kenne, die mich lieben und die ich lieben kann. Es sind nicht viele. Wenn ich den Begriff der Liebe nicht zu eng nehme, bin ich ein (melancholischer) Philanthrop. Aber das weißt du ja.

[An Otto Eberhardt 11.7.2000]

 

 

Weiterführend →

Ulrich Bergmann nennt seine Kurztexte ironisch „gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs“. Wir präsentieren auf KUNO eine lose Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente. Lesen Sie zu seinen Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel. Eine Einführung in seine Schlangegeschichten finden Sie hier.

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