Auf dem Kanal in Richtung Schleuse

 

Jacqueline lief den Weg am Kanal entlang. Der Geruch nach Dunkelheit und modriger Erde, nach Wasser und Kohle, nach Benzin und frisch gemähtem Gras stieg ihr aufdringlich in die Nase. Ein Binnenschiff tuckerte auf dem Kanal in Richtung Schleuse. „Weg hier, nur weit weg von hier!“, schoss es ihr durch den Kopf. Am nächsten Morgen würde sie wieder kommen. Sie konnte nicht anders. Die Kirmes zog sie magisch an. Unwiderstehlich. Jedes Jahr. Sie konnte den Duft von Popcorn riechen, hoffte darauf, dass sich vor der Schlossruine die Geisterstadt mit prallem Leben füllte.

Ein Betrunkener torkelte ihr entgegen. Wollte sich an ihr festhalten. Fiel. Sie wich aus. Lächelte ihm, gerührt von seiner Unbeholfenheit, fast zärtlich zu. Hinter ihren Reptilienaugen war nichts weiter als dunkle Nacht. Jacqueline wollte den Müffelmann sich selbst überlassen.

»Schätzeken, wat iss’n?«, lallte er. Drückte den Daumen zwischen Zeige– und Mittelfinger durch. Und hatte verspielt. Er stand auf. Breit grinsend. Sie blieb stehen, hätte weggehen können, ihr Körper entschied sich anders.

Sie rammte ihm die Faust hart und gezielt in die Magengrube. Er blickte sie erstaunt an. Kippte zusammen wie ein Klappmesser. Ächzte. Erbrach sich. Sie zog ihn rasch die Böschung hinunter. Er kotzte weiter. „Sein Abschiedslied von dieser Welt“, ging es Jacqueline durch den Kopf. Der Betrunkene versuchte sich zu wehren. Sie war daran gewöhnt, dass sie sich wehrten. Entweder überrumpelte man sie mit einem Lächeln oder einer schnellen Attacke. Man schrie sie laut an, man schlug als erste. Mit viel Schlagkraft. Und immer wieder waren sie verblüfft, dass in einer Frau so viel Gewalt und Aggression stecken konnte.

Jacqueline lächelte über den Grund, wieso sie einfach nicht lernten, sich zu wehren. Diese Typen waren gut erzogen, hatten Anstand und Ritterlichkeit einer alten Kriegerkaste in den Knochen. Der Kerl winselte jämmerlich.

»Halt endlich die Schnauze!«, flüsterte Jacqueline scharf in sein rechtes Ohr. Beinahe fröhlich hielt sie ihm das Klappmesser an die Kehle. Zog ihn am Kragen weiter die Böschung hinunter. Schlug seinen Kopf auf einen großen Stein, der den Schotter zierte. Der Typ verdrehte die Augen, wurde ohnmächtig. Sie schleppte seinen Körper ins Wasser. Duckte ihn unter Wasser. Drückte seine Kehle zu. Luftblasen stiegen auf.

Das Eisentor öffnete sich langsam. Wassermassen flossen heraus. Ein Binnenschiff fuhr in die Schleuse hinein. Kein Licht in den Kabinen, nur in der Kapitänskajüte. Der Steuermann sammelte sich, um das Manöver durchzuführen.

 

 

Fortsetzung folgt.

***

Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001

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In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.