Jacqueline sah dem Mann hinterher. Ihr war sofort aufgefallen, dass er schöne Hände hatte, als er sich damit durchs Haar gefahren war. Eine Angewohnheit, die viele Männer hatten, aber in seinen schwarzen Haaren sahen sie weiß und leuchtend aus und einfach schön. War sie mit auf dem Foto abgebildet, das er von den beiden Bauern geschossen hatte?
Mit lässigem Gang verließ der Flaneur den Markt. „Hat einen knackigen Hintern!“, fiel ihr auf, als sie ihm hinterhersah. Seufzte. Wandte sich den Käfigen zu. Wollte ein Kaninchen kaufen, feilschte um einen Weißen Wiener mit hellblauen Augen und geröteten Rändern. Bekam von einem Bauern zähneknirschend den Zuschlag. Das Karnickel zitterte vor Angst, als sie es in den mitgebrachten Käfig steckte.
»Schön, dass du nicht schreien kannst«, sagte Jacqueline mit tiefer Stimme zu dem Tier, steckte eine Mohrrübe durch das Gitter und brachte den Stallhasen umgehend nach Hause. Auf dem Balkon hatte sie einen großen Verschlag errichtet. Zwei Schälchen standen in einer Ecke. Eins gefüllt mit frischem Wasser, die andere mit Kaninchenfutter. Sie setzte den Tragekäfig vorsichtig auf den Boden und öffnete die Tür.
»Komm schon heraus…«, lockte sie, »… du bist noch nicht dran. Oder hast du schon mal gehört, dass man seinen Weihnachtsbraten im August schlachtet?« Jacqueline lachte kehlig, zündete sich eine Zigarette an, beobachtete das Kaninchen, wie es schnupperte und zögerlich aus dem engen Käfig kroch. Es hoppelte zum Wassernapf und trank. Sie drückte im Aschenbecher ihre Zigarette aus. Fürsorglich zog sie auf dem Balkon eine Jalousie gegen die kommende Hitze herunter, überprüfte noch einmal den Verschlag. Das Kaninchen konnte nicht türmen. Im letzten Jahr hatte ihr eines den Teppich angeknabbert, als es herausgefunden hatte, dass man den leichten Verschlag anheben konnte. Diesmal hatte sie einen Käfig besorgt, der einen Boden hatte. Das würde beim Reinigen schwieriger werden, aber der Mümmelmann konnte ihr nicht entwischen. Sie war immer wieder aufs Neue angewidert von der Zutraulichkeit, die Kaninchen entwickelten. Erst im letzten Augenblick begriffen sie, dass sie nur hier waren, um geschlachtet, zubereitet und gegessen zu werden. Sie streichelte das Tier hinter den Ohren. Es saß still in einer Ecke und knabberte nicht mehr an einer Möhre. Schnüffelte an ihrem Handrücken. Als sich ihre Hand zurückzog, mümmelte das junge Kaninchen zufrieden weiter.
»Bis später, Dumpfbacke!«, rief sie fröhlich. Das Kirmes–Fieber hatte sie ganz gepackt.
Fortsetzung folgt.
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Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001
In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.