Das Fahrgeschäft pumpte Verkaufsschlager in schneller Abfolge aus den Boxen. Am Ende der Schlange wurde ein Wagen mit einer dreckigen Lache aus der Geisterbahn herausgestoßen.
Ansgar und Shari feixten, als sie im Wagen, den eine Teufelsfratze zierte, am Ende der Geisterbahngleise ankamen. Ein Helfer öffnete den Bügel. Sein Gesicht war von höflichem Desinteresse gezeichnet. Er deutete eine Verbeugung an, erwartete von diesem Jugendlichen nicht ernsthaft ein Trinkgeld. Um echt zu wirken, versuchten Ansgar und Shari strenge Kopisten ihrer Selbst zu sein und schwangen sich absolut ultralässig aus dem Schienenwagen.
»Boaaah, voll der Horror!«, begann Ansgar den verbalen Schlagabtausch, machte mit angewinkeltem Arm die Säge und grinste dreckig.
»Grottenschlecht!«, stieg Shari auf ihn und seinen Rhythmus ein.
»Gruftiemässig!«
»Totaler Tolltschok!«, warfen sie sich echtgeschöpfte Realitäts–Vokabeln von souveräner Größe und selbstreferentieller Leere vor die zugedröhnten Köpfe. Loops, völlig authentisch und wahnsinnig eigentlich. Ansgar und Shari fühlten sich glücklich, frei. Frei davon, sich Gedanken zu machen. Sprache transportierte für sie keine Inhalte mehr, nur noch Grooves in einem gehetzten Rhythmus, Rappelreime oder Rock’n’Roll. Wer konnte das noch unterscheiden? Wen interessierte eigentlich überhaupt noch Sinn? Hier war es partyphobisch bis zum Abwinken.
»Komm’se näher, komm’se ran! Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Bei ’ner Zehnerkarte fahren sie zwomal umsonst mit! Und was ist heute schon umsonst? Auch der Tod kostet Sie das Leben!«, verkündete die Donnerstimme der Ansagerin aus dem Glashäuschen vor der Geisterbahn den unschlüssigen Kirmesbesuchern.
Fortsetzung folgt.
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Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001
In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.