Querschlag

 

Absacker ist obsolet. Der Querschlag hätte eigentlich treffender Einschlag heißen müssen, zahllose Abstürze haben in dieser Nachtbar stattgefunden. Kaum jemand in Wanne–Nord, der hier nicht vom Hocker gekippt oder auf dem Tresen eingeschlafen war. Im Querschlag konnte man sich bis auf die Knochen blamieren, ohne dass es einem jemand lange nachtrug. Beim nächsten Mal konnte nämlich das Gegenüber dran sein; Solidarität lebte man in dieser Region pragmatisch.

Geli, die Chefin, thronte wie die Königin der Nacht hinter der Theke, stützte die Hände in die Hüften und sondierte ihre Stammgäste. Dirigierte ihre Mitarbeiter, ordnete die Gäste einander zu, fügte zusammen, was zusammengehörte und ließ die Szenerie von taffen Jungs bereinigen, bevor es brenzlig wurde. Sie bestimmte die Dramaturgie, und alles stand zur Premiere bereit: Frisch gespülte Gläser, eine glänzende Zapfanlage, die blitzend schwarze Theke. Überhaupt keine Spur vom Desaster der letzten Nacht. Nur der Staub der Jahre haftete im rauhen Verputz des Retro–Designs; doch diese Feinheiten bemerkte bei der niedrigen Wattzahl der Beleuchtung niemand mehr.

Die Chefin strich sich durch ihre frisch getönten mahagonifarbenen Haare. Im Friseursalon Albrink hatte man den Schopf hinten angefräst, und sie fand es total geil, sich gelegentlich vom Nacken über den Hinterkopf zu streichen. „Verfluchte Nacht….“, schoss es ihr schmerzhaft durch den Kopf. Ihr Lover hatte ihr den Laufpass gegeben, „…ausgerechnet wegen ’ner gottverfluchten Kirmestochter–Pussy“. Die Kerle im Revier mussten nur mal schwärmerisch von einer Jungmöse angestarrt werden, dann liefen die Hormone Amok. Am liebsten Typ Perückenschaf, denen sie ‘was beibringen konnten’. Mit selbstbewussten Weibern kamen sie auf Dauer nicht klar. Gelis Ruhrgebiets–Charme nahm jeden durch lakonische Direktheit ein. Sie war ein Vollweib, das jeden Mann in den Wahnsinn treiben konnte, besonders, wenn sie ihn liebte. So eine Frau verließ man nicht ungestraft.

Sie versuchte, sich mit Arbeit abzulenken, ließ ihre rehbraunen Augen über ihr Terrain schweifen. „Jetzt nur keine Tränen…“, mahnte sie sich und biss auf die Unterlippe, „… um diesen gottverdammten Arsch!“ Sie stemmte die Hände in die Hüften, drückte den Rücken durch und zupfte die dunkelbraune Lederschürze mit dem goldfarbenen Aufdruck zurecht, die sie von einer rheinischen Brauerei als Serviceleistung bekommen hatte, damit sich hier mehr Obergäriges Bier verkaufte. Schneller lief es nicht durch den Zapfhahn; in dieser Region zapft man Altbier mit Krönchen. Sie stellte eines dieser überflüssigen Meisterwerke auf dem Tresen ab.

Ihre Freundin Rosi saß auf einem Barhocker. Eine grobschlächtige Frau mit großen Händen und spatenförmigen Fingernägeln. Keine abgemagerte Modellschönheit. Sie wusste das; es tat ihrem Selbstbewusstsein keinen Abbruch. Zweimal verheiratet. Immer auf der Lauer. Alles im Blick. Eine Ledertusse mit dickem Arsch, der beinahe ihr Dress zum Platzen brachte, setzte sich an den hinteren Tisch. Zog die schwere Jacke aus und gab einen freizügigen Blick auf ein ansehnliches Dekolleté frei.

»Die ist jung, die quiekt noch«, kommentierte Rosi. Geli spülte Gläser. Wasser an den Händen ersparte das Wasser in den Augen.

»So gemein dürfen nur Frauen sein«, erwiderte sie blinzelnd.

»Der Hauptpreis?«, erkundigte sich Rosi und wies mit dem Zeigefinger auf den Grope, ohne dass er die Geste bemerkt hätte.

»Ehj hömma! Gib’et noch’n Bier?«, machte er sich übermäßig laut bemerkbar. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Theke. Die hellblauen Augen schwammen bereits wässrig. Geli stellte ihm ein Halbes vor die Nase. Machte den Strich auf dem Deckel und hakte ihn ab.

 

 

Fortsetzung folgt.

***

Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001

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In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.

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