Silberfische

 

Rückzug. Ausbruch. Rückzug.
Füllfederhalter, Buntstifte, Schreibmaschinen,
die wieder nicht funktionieren.
Sie ekeln sich vor der Wahrheit.
Sie fürchten sich zu weinen.
Sie trinken, Kaffee, Kaffee, Kaffee, rauchen
starke Zigaretten, stoppelbärtig
einer kalten Hoffnung zu
und barfuß über kaltes Steinzeug
und kalt über die letzte Nacht, ja,
kalt über die letzte Nacht.

„Welcher Verleger möchte das Manuskript Silberfische lesen?“, fragte ich vor einigen Jahren in einem Aufsatz über zeitgenössische Lyrik. Die Frage blieb unbeantwortet – nicht zuletzt auch wegen der Eigenart Milautzckis, nicht mit seinen Manuskripten hausieren zu gehen und sich immer wieder für längere Zeit in seinem lyrischen Schneckenhaus zu verkriechen. So erscheint Silberfische – noch einmal gut überarbeitet: Einzelne Verse sind verdichteter, schwächere Texte aussortiert, neue Gedichte eingefügt – nun konsequenterweise in der edition bauwagen: Denn an meiner Einschätzung der Lyrikkraft und Sprachmagie Frank Milautzckis, aus dessen Gedichten ich den gewinnbringenden Einfluß Christoph Meckelscher Lyrik herauslese (O-Ton Milautzcki: „Meckel ist die Zündkerze in meinem Lyrikmotor“), hat sich nichts geändert. Seine Gedichte wirken auf mich wie kleine Luftfahrzeuge, die durch meine geistige Welt schwirren und dort für Furore sorgen. Ich lese in diesen Versen die besondere lyrische, im Prinzip unbeschreibliche Sprache der Gedichte, die vielen nur so genannten „Gedichten“ (die in Wahrheit nichts als in Zeilen gebrochene Prosatexte sind) seit Jahrzehnten abgeht. Das kommt bei Milautzcki so leicht und unscheinbar daher, birgt jedoch Schwingungen verschiedenster Art, aus denen sich jeweils kleine neue (oft zauberhafte) Welten bzw. Weltsichten ergeben. Verdiente Breitenwirkung können wir Frank Milautzcki mit diesen in kleinster Auflage erscheinenden Künstlerbüchern nicht ermöglichen. Deshalb kann auch dieser erste Einzeltitel (wie bei Andreas Noga, Heike Smets und Jan Röhnert) nur der erste Schritt zu einer Kenntnisnahme und Anerkennung bei möglichst vielen Leserinnen und Lesern sein, die auf der Suche sind nach schöner Lyrik, die attraktiv, bildstark, charismatisch, dicht, einfallsreich und filigran ist.

 

 

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Silberfische, von Frank Milautzki, edition bauwagen 2002
Fünfzig tintenstrahlgedruckte Gedichte, zwei handgeschriebene Gedichte, fünf Linolschnitte, mehrere von Karl-Friedrich Hacker in Blei gesetzte Texte: Titellinolschnitt von Karl-Friedrich Hacker, 60 unpaginierte Seiten, 37 signierte und numerierte Exemplare.

Weiterführend Ein Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer.

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Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses  post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.

 

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