Social Beat vs. digitales Dasein

Vorbemerkung der Redaktion: Nach Enno Stahls fulminantem Zeitdokument Deutscher Trash präsentiert KUNO zum 10. Jubiläum seine Analyse dieser Jugendbewegung, dem sogenannten „Social Beat“.

 

I. Social Beat – Eins vorweg:

Social Beat ist Vergangenheit, ist tot, ist komplett gegessen. Daran lässt sich nicht rütteln. Dennoch mehren sich inzwischen Aufsätze und Buchpublikationen, die diesem ‘underdog’ der jüngeren Literaturgeschichte Rückblicke und Darstellungen widmen.

Was ist also dran an Social Beat, einem Gespenst, das in der 90er Jahren auftauchte und nach einer halben Dekade verschwand? Was interessiert die Interpreten an diesem Strohfeuer? Ist es die Geschichte eines Begriffs, einer Bewegung, oder einer literarischen Richtung?

Gerade die Tatsache, dass niemand eine exakte Antwort auf diese Fragen geben kann, dürfte ein Grund für die aufkommende Beschäftigung damit sein. Wahrscheinlich ist Social Beat von allem ein bisschen gewesen. Wie dem auch sei, literarische Verwirrung ruft Germanisten auf den Plan (siehe Pop-Literatur), das verschafft Deutungsmacht und Exklusivität. Bei Social Beat ist allerdings nicht allzu viel zu holen. Literarisch ist wenig Bedeutsames dabei abgefallen, da waren sich bereits die handelnden Protagonisten selber einig, von einer homogenen Gruppe, die auf ein bestimmtes Programm oder gar Textgenre zu verpflichten gewesen wäre, kann keine Rede sein. Da steht etwa der Trash-Ironiker Jan Off neben (oft moralinsauren) Bukowski-Adepten wie Robsie Richter, die herrlichen, skurril-verstiegenen Poesie-Konzeptionen des Ostbelgiers HEL sehen sich konfrontiert mit Alltagsstories nach dem Motto: Freitag abends komme ich (wie üblich) in die Stammkneipe, Reiner, der Thekenmann, stellt mir (wie üblich) meinen Halben hin, alles ist Scheiße (wie üblich). Und die Street Credibility, die Social Beat so gerne für sich reklamierte, besitzt letzten Endes nur der Ex-Junkie Philipp Schiemann, der mehr vereinnahmt wurde, als dass er sich selbst dort einbrachte. Was bleibt, ist also das Phänomen. Als Gründungstat des Social Beat, noch vor der Namensfindung selbst, wird häufig die Herausgabe von „Downtown Deutschland” 1992 im Isabel Rox Verlag angesehen, so etwa von Thomas Nöske. Dafür spricht, dass die meisten der Autorinnen und Autoren, die später zu treibenden Kräften wurden, hier versammelt sind (Roland Adelmann, Dahlmeyer, Kersten Flenter, Nöske, Robsie Richter und andere). Auf der Mainzer Minipressenmesse 1993 trafen sie sich persönlich und empfanden sich sogleich als Gruppe. Da diese Leute aus Berlin, Hannover, Hanau, Bochum usw. stammten, war das Social Beat-Netzwerk im Kern bereits überregional ausgerichtet. Während des alternativen Buchmarktes fanden erste Gespräche über ein bundesweites Treffen gleichgesinnter Autoren und Fanzine-Herausgeber statt.

Zu diesem Meeting kam es im Spätsommer 1993 in Berlin, unter dem Titel “Tötet den Affen” wurde es von Dahlmeyer und Nöske organisiert, und ca. 40 Autorinnen und Autoren aus dem gesamten Bundesgebiet waren dazu angereist. Um dieser Sache einen Namen zu geben, hatten Nöske und Dahlmeyer die Begriffskombination „Social Beat” geprägt. Die “Beat-Autoren”, die man als logischen Bezugspunkt vermuten würde, hätten sie aber, wie Dahlmeyer betont, nicht im Blick gehabt:

Unsere Wurzeln liegen in der Musik, speziell im frühen Punk. Das “Social” bezieht sich nicht, wie medial mehrfach fälschlich verbreitet, auf ‘Sozialismus’. Social Beat bedeutet die Wut zum ÜberLeben, das tägliche ÜberLebensTraining, die bewußte Sicht von Unten, den Alltag als Thema.”

Diese Begriffsfindung ist folgenschwer gewesen, denn – einmal in der Welt – entwickelte der Terminus ein ungeahntes Eigenleben. Social Beat verbreitete sich wie ein Lauffeuer übers ganze Land. Man kann sagen, dass er auf ein überaus günstiges Umfeld stieß, da zu Beginn der 90er Jahre als Spätfolge der PunkZines ein subliterarischer Zeitschriften-Boom einsetzte, eine Schwemme kopierter Blättchen, wie sie seit dem deutschen Expressionismus ihresgleichen nicht besaß. Ein wenig ist es auch die Frage danach, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei. Gewiss ist Social Beat ein Ergebnis dieser Grundkonstellation gewesen. Umgekehrt führte das Label wiederum zur Begründung vieler neuer Lit.-Fanzines bzw. dazu, dass bereits formierte Projekte zu Social-Beat-Postillen umfunktioniert wurden, etwa Adelmanns “Buletten-Tango”, Nöskes “HoKaHe”, Richters “Kopfzerschmettern”, Dahlmeyers “Störer”, Oliver Bopps “Cocksucker”, “Einblick”, herausgegeben von Joachim und Michael Schönauer, um nur einige zu nennen. Daneben existierte mit Dahlmeyers “Die Wanze” ein bundesweiter Info-Verteiler, der als kommunikatives Bindeglied der verschiedenen Social-Beat-Gemeinden fungierte. Von einem Moment auf den anderen saß in nahezu jeder deutschen Kleinstadt irgendjemand, der eine eigene Zeitschrift bosselte und für deren regionalen Vertrieb sorgte, wodurch sich speziell den tragenden Personen der Anfangszeit ein bundesweites Veröffentlichungsspektrum bot, das nicht von den Mainstream-Medien abhängig war. Insofern ist Social Beat ein kulturelles, ja kulturwissenschaftlich bemerkenswertes Phänomen, mit dem in unseren Tagen so nicht mehr zu rechnen war. Dieser kommunikative und verbindende Aspekt stellt letztlich die zentrale Leistung Social Beats dar, es ist ein effizientes Netzwerk gewesen, parallel und alternativ zum kommerziellen Literaturbetrieb. Da sich aber inhaltlich und programmatisch keine einheitliche Linie heraus kristallisierte, musste man scheitern. Den sarkastischen Beleg dessen lieferte eine Mail Art-Aktion, die Boris Kerenski 1998 inszenierte. Hier wurde eine Vielzahl von Beteiligten gebeten, auf die Frage “Was ist Social Beat?” in Postkartenform zu antworten. Das Resultat erschien als Katalog im Verlag Killroy Media und präsentierte eine Reihe ernüchternder Reaktionen aus den eigenen Reihen, die klar machten, dass vom einstigen Zusammenhalt wirklich nichts mehr übrig geblieben war.

II. Soziale Aporien des Social Beat

Nicht nur der Berliner Autor Marc Degens attestierte Social Beat eine defizitäre literarische Qualität, die zugleich mit einer großen gegenseitigen Kritiklosigkeit einhergehe. Die Rechnung Social Beats konnte aber schon deshalb nicht aufgehen, weil sich bereits in der eigenen Selbsteinschätzung verschiedene innere Widersprüche auftaten, die nicht zu lösen waren. Der soziale Anspruch, wie er sich in Dahlmeyers oben zitiertem Definitionsversuch ausdrückt, konnte in dieser Form nicht realisiert werden: Es reicht nicht aus, immer wieder Außenseiter-Geschichten herunter zu leiern, wenn man sie nicht in eine gesellschaftliche Perspektive einbettet. Man fällt so hinter große Vorbilder der realistischen Tradition zurück, die ein solches Programm auf sehr viel elaboriertere Weise eingebracht haben (wie etwa Brecht und Zola). Schlimmer ist aber, dass viele Social Beat-Autoren in ihrer Bewunderung für Leute wie Bukowski und Fauser dazu übergingen, sich selbst als literarisch-soziale Außenseiter zu stilisieren. Das kann aber nur auf der Basis von „unmittelbaren Grenzerfahrungen” funktionieren, nicht dadurch, dass man ein Leben mit schlechtem Job in einer öden Provinzstadt zur literarischen Erkenntnisfolie verklärt. Natürlich könnte das ein Thema sein, jedoch nur dann, wenn man über eine bloß individualistische Position hinaus gelangt und fähig ist, auf die soziale Tragweite dieser psychophysischen Disposition hin zu verallgemeinern, andernfalls wird der Text lediglich vom Selbstmitleid diktiert. Bei Social Beat entfaltete sich zusehends ein zirkulärer Diskurs, bei dem Undergrund-Literaten Geschichten aus dem literarischen Untergrund zum Besten gaben, also aus einem selbst-inszenierten Kontext. Das beste Beispiel dafür liefert Jörg André Dahlmeyers Text „Der Affee, der Affee, der Affekt”, der seinen Auftritt während der 2. Deutschen Literaturmeisterschaft in Köln dokumentiert. Das Ganze ist ein Hasstirade auf das Publikum („Kunstpisser”), den Gegner, dem sich der sozio-literarische Außenseiter Dahlmeyer ausgesetzt sieht. Tatsächlich ist eine Lesung hierzulande kein Ort für eine authentische soziale Konfrontation, sondern als kulturelles Podium ein sanktionierter Raum, bei dem Dahlmeyer keine echten Konsequenzen zu befürchten hat. Die Grenzsituation, die er schildert, ist künstlich aufgepusht, denn sein Auftreten ist gefahrlos, und steht in keinem Verhältnis zum real-existierenden Klischee der alleinerziehenden Mutter, die von Sozialhilfe drei Kinder großzieht. Soziale Ungleichheit wird es auf dem Dorf oder in der Kleinstadt ebenfalls geben; ohne mich auf Statistiken zu stützen, glaube ich aber, dass sie sich in Ballungsräumen eher manifestiert (die Arbeitslosenzahlen der Großstädte sprechen da eine deutliche Sprache). Das Scheitern Social Beats vor der sozialen Realität ist nicht zuletzt auch ein Scheitern vor der Stadt. Die wenigsten Autoren (mit Ausnahme vielleicht Philipp Schiemanns, Jan Offs oder Kersten Flenters) sind in der Lage gewesen, urbaner Realität als sozialem Raum einen angemessenen Ausdruck zu verleihen. Der Kosmos des durchschnittlichen Social Beatlers endet beim oben beschriebenen Wochenendsuff im Dorfkrug, mündet in lyrische Phrasen wie: „Ich hockte auf dem Sofa und/ öffnete mein elftes Bier/ Ich unterdrückte den Schluckauf/ Der mich nach der letzten Flasche/ überraschte […]” , oder äußert sich in pauschaler Konsumkritik. Die wirkenden Umschichtungen der deutschen Gegenwartsgesellschaft (Deregulierung des Arbeitsmarktes, „working poor”, Massenentlassungen, der „crash” der New Economics) fanden hier keinerlei Ausdruck, was letztlich bedeutet, dass die soziale Realität selbst im Social Beat nicht stattfindet.

III. (Post-)Industrielles Dasein

Das Scheitern angesichts der städtischen Situation impliziert erst recht ein Scheitern gegenüber der Digitalisierung des neuzeitlichen Erfahrungsraums. Social Beat ist konsequent rückwärtsgewandt gewesen, regelrecht „maschinenstürmerisch”. Wenn man sich diesen fundamentalen Umwälzungen unserer Umwelt bewusst und prinzipiell verschließt, enthebt man sich der Möglichkeit, die alltägliche Wirklichkeit literarisch interpretieren, analysieren und kritisieren zu können. Gerade das aber sollte als eigentliches Einsatzfeld von Social Beat gelten, und hier stellt sich doch die Frage, was eine derartige literarische Richtung dann überhaupt noch beitragen will. Das Problem liegt in einer anti-intellektualistischen Tendenz, die sich dem historischen Wandel, dem die Kritik selbst unterliegt, generell verweigert. So entsteht eine schlicht gestrickte (pseudo-)kritische Attitüde, irgendwie links, diffus in ihren Angriffspunkten, stets selbstbezüglich, nie allgemein. Einmal mehr ist an dieser Stelle die Frage interessant, warum dieses unentschlossene Lavieren für eine ganze Reihe von Leuten, die sich in den offiziellen kulturellen oder politischen Organisationen und Institutionen nicht recht wiederfanden, zu einem Identifikationspunkt geraten konnte. Letztlich ist das kaum zu entscheiden, sicher wird die glückliche Prägung des Begriffs Social Beat, der für so viele Interpretationen offen war, der so viele Konnotationen nahe legte, ihr Übriges getan haben. In einer politisch uniformen, weitgehend alternativlosen Zeit kann ein bloßes gemeinsames „Dagegen” schon Zusammengehörigkeit erzeugen. Literarisch wird von Social Beat wenig zurück bleiben, außer jenen ernsthafteren Autoren und Verlegern, die – nachdem die Spreu vom Weizen sich getrennt hat – weiter aktiv und längst nicht mehr in ein übergreifendes Raster einzupassen, sondern dabei sind, ihre eigenen literarischen Physiognomien zu entwickeln.

 

 

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Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.