Erden

 

Kaum der Tristesse des allgemeinen Alltags entronnen, kümmerte er sich liebevoll um den Garten. Auch wenn Außenstehende sicherlich vermutet hätten, dass er eine gewisse Wut im Bauch haben musste, denn wütend, geradezu grob sah das Geschehen wohl aus, er arbeitete mit einer unglaublichen inneren Freude. Wieder einmal hatte Herr Nipp entdeckt, dass sich in einem kleinen Seitenbeet seines ebenso kleinen Grundstücks der Giersch ausgebreitet hatte. Nun gibt es nur zwei Möglichkeiten diesem Gärtnerfeind Nummer eins Herr zu werden. Entweder man konterminiert den ganzen Boden großflächig mit Unkraut-Ex, oder man trägt die obere Bodenfläche ebenso großflächig ab und hofft, dass alle Rhizome mit erwischt werden. Dann füllt man das Ganze in schwarze Plastiksäcke und gibt großzügig ungelöschten Kalk darauf. Zwar kann man davon ausgehen, dass damit so ziemlich alles im Mutterboden abgetötet wird, immerhin lässt sich dieses Gemisch, welches nun mindestens den ganzen Sommer über in praller Sonne liegen muss, dann im nächsten Jahr als Zwischenstreu für den Komposter nutzen. Da er grundsätzlich gegen alle Gifte im Garten ist (sogar die Schnecken werden nicht mit blauen Körnern zum kulinarischen, aber langsamen Tod verführt, sondern eigenhändig mit der Gartenschere und Nackenschnitt ermordet.), wählte Herr Nipp die zweite Methode. Die alten Johannis- und Jostabeerbüsche wurden ausgegraben und durch heftiges Klopfen auf den Boden von jeglicher Krume befreit. Alles Abfallende war als Abfall zu betrachten, mehrere Säcke füllten sich, übereinandergestapelt nicht gerade eine Augenzier, trotzdem dann demnächst ganz praktisch. Die Büsche mussten nun nur noch auseinander gerupft werden, alte Holzteile entfernt. Nach getaner Arbeit pflanzte Herr Nipp die Pflanzen in neue Pflanzerde, die er käuflich in dem nahe gelegenen Gartenzentrum erworben hatte, schlämmte alles mit mehreren Eimern voll Regenwasser ein. Schon acht Wochen später sollte er sich wundern, statt des Gierschs würden sich unter den vertrockneten Obstgehölzen explosionsartig Ackerwinden ausbreiten, die er mit der neuen Erde eingeschleppt hatte.

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421