Social Beat, ein Bericht aus der Szene

 

Social Beat war eine Literaturszene der 1990er Jahre. Der Begriff wurde 1993 als Schlagwort des Berliner Literaturfestivals „Töte den Affen“ von Jörg A. Dahlmeyer und Thomas Nöske, angelehnt an die amerikanische Beat Generation, Charles Bukowski und moderne französische Autoren, geschaffen. 1993 hatten sich während der Mainzer Minipressenmesse die ersten Protagonisten getroffen, um ein gemeinsames Magazin herauszugeben. Darunter befanden sich Roland Adelmann, Oliver Bopp, Hardy Crueger, Hadayatullah Hübsch, Ingo Lahr, Andi Lück, Thorsten Nesch, Robert „Robsie“ Richter, Mario Todisco und besagte Dahlmeyer und Nöske.
Quer durch Deutschland fanden nach 1993 Lesungen und Festivals statt, an denen sowohl bekannte Autoren als auch Hobbyliteraten teilnahmen. Die Bewegung ging dann in der sich parallel entwickelnden Slam-Poetry-Szene, mit der es seit Mitte der 1990er starke Verflechtungen gab, auf und flaute Ende des Jahrzehnts wieder ab. Einige weitere wichtige Vertreterinnen sind bis heute aktiv und bekannt: Urs Böke, Hermann Borgerding, Martin Brinkmann, Frank Bröker, Henning Chadde, Jerk Götterwind, Kersten Flenter, Alex Klingenberg, Hartmuth Malorny, Axel Monte (†), Boris Kerenski, Jaromir Konecny, Derek Meister, Jan Off, Alexander Pfeiffer, Michael Schönauer, Thomas Schweisthal und Michaela Seul.
Die ersten Zeitschriften dieser Underground-Bewegung waren drei so genannte Lit(eratur)-Fanzines: Die seit Mitte der 1980er herausgegebenen Ikarus (Mainz) – später Das Dreieck, Kopfzerschmettern (Hanau) und Produkt (Duisburg). Ihr Erscheinungsbild orientierte sich an der boomenden Punk-Fanzine-Szene. Ende der 1980er und Anfang der 1990er erschienen eine Vielzahl weiterer Zeitschriften und Magazine, die in Inhalt und Aufmachung variierten: 3D-Silbig (Bochum), Art & Decay (Schwarzenberg), Bulletten Tango (Bochum), Brain Surfer (Engelswies), Cocksucker (Riedstadt), Die asoziale Beate (?), Der Störer (Braunschweig/Berlin), Gästepost (Berlin), Härter (Leipzig), herzGalopp (Hamburg), HOKAHE (Göttingen), Holunderground (Frankfurt), Kaleidoskop (Berlin), Krachkultur (Lintig-Meckelstedt/München), Kultur-Terrorist (Leverkusen), Labyrinth & Minenfeld (Osnabrück), Rude Look (Bederkesa), Secret Looser (Wiesbaden), SUBH (Cottbus und Braunschweig), Ventile (Mainz) und Vergammelte Schriften (Leipzig). Viele dieser Projekte sind im Laufe der 1990er eingestellt worden. Als internes Informationsblatt diente Die Wanze, die von wechselnden Redaktionen herausgegeben wurde. Gegen Ende und Anfang der 2000er erlebten die Lit-Fanzines aus der SB-Punk-Szene mit My Choice (Darmstadt), Ratriot (Essen), Straßenfeger (Köln) und Vorsicht Schreie (Neuss) einen kleinen Aufschwung, die zum Teil noch heute unregelmäßig erscheinen. Neugegründete Magazine wie MAULhURE (Essen) und Superbastard (Augsburg) veröffentlichen die aktuelle Szene.
Als Verlage sind heute vor allem der Ariel-Verlag, Rodneys Underground Press, Verlag Andreas Reiffer und Killroy Media aktiv.

 

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.