Steve Winwood ist einer der besten Soulsänger, die je aus England kamen
Traffic bestand aus hochkarätigen Musikern, die problemlos zwischen den unterschiedlichen Musikstilen wechseln konnten und dabei völlig unangestrengt wirken. War das erste Album Mr. Fantasy in 1967 wegen der speziellen Britischness, lediglich in Großbritannien erfolgreich, so stellte sich die Combo mit dem zweite Album Traffic wesentlich vielseitiger auf. Auf diesem Album brachte Dave Mason viele Kompositionen ein (z. B. Feeling Allright) und sang die Lead-Stimme. Es gab Spannungen, da Mason nicht im Schatten Winwoods stehen wollte. Nach einer Tournee in Amerika löste Winwood die Band auf.
Das Beste, was Combo getan hat, war, eine Pause davon zu machen, Traffic zu sein.
Eigentlich war John Barleycorn in 1970 als als Soloprojekt von Steve Winwood geplant, doch aufgrund des Wunsches, mit gleichgesinnten Musikern zu spielen, lud Winwood seine ehemaligen Traffic-Kollegen Jim Capaldi und Chris Wood zur Zusammenarbeit ein, und damit wurde das Projekt zu einer vollwertigen Traffic-Réunion. Zur Wende des Jahrzehnte begann Winwood, jazzigere Texturen einzubauen, wobei er sich auf seine eigenen ausgedehnten Keyboard-Soli und Woods Saxophon- und Flötenspiel verließ. Einige Songs dauerten sechs oder sieben Minuten. Diese Elemente wurden auf John Barleycorn Must Die und Low Spark deutlich. Stilistisch war das Album ein großer Schritt weg von ihrem früheren psychedelischen Pop-Sound hin zu einem stärker von Jazz und R&B beeinflussten Sound. Auf den vier kompletten Bandliedern auf Barleycorn klingen Winwood, Capaldi und Wood entspannt und reagieren auf die Stichworte des anderen, und es gibt keinen Moment auf der Platte, in dem man das Gefühl hat, sie würden nachlässig.
Der Fusion-Sound, den die Band zu kreierte, wird am besten durch die ersten beiden Titel der Platte veranschaulicht.
Der Eröffnungstitel Glad, erinnert als Instrumentalstück, an Blechmusik, komplettiert durch Saxophon-Schnörkeln und einem jazzigen Klavierriff, während Freedom Rider, eine intensive Fusion aus R&B und Jazz ist und Chris Woods meisterhaftes Flötenspiel aufweist. Beide Titel enthalten auch Winwoods erstaunliches Hammondorgel- und Klavierspiel, was ein absolutes Highlight der Platte ist und den Hauptantrieb für viele der Songs darstellt. Um den Fusion-Stil zu erreichen, den sie anstrebten, ist es erwähnenswert, dass dies keineswegs ein Gitarrenalbum ist, da die Musik auf dem Album sehr stark auf Klavier, Orgel, Flöte und Saxophon basiert, wobei die Gitarre größtenteils eine Nebenrolle spielt. Die zweite Seite des Albums ist weniger jazzig und rockiger mit Stranger To Himself, dem pastoralen Akustik-Folk von John Barleycorn Must Die, einem traditionellen englischen Folksong, der eine nette Abwechslung zum Jazz und R&B bietet, und dem hymnischen Every Mother’s Son als letztem Album mit seinem wirbelnden psychedelischen Orgelsolo und dem klassischen Rockgitarrenriff. John Barleycorn Must Die ist mit nur sechs Songs kein langes Album, aber die Dichte der Tracks – vier davon sind über sechs Minuten lang – sowie die jazzige Instrumentalbegleitung gleichen dies vollkommen aus und sorgen dafür, dass das Album die richtige Länge für das dargebotene Material hat.
Like a hurricane around your heart / When earth and sky are torn apart
Dieses Album ist, abgesehen vom Titelsong, vergleichsweise spärlich an Texten ist. Capaldi und Winwood waren im Allgemeinen besser darin, Stimmungen zu erzeugen als Geschichten oder epische Poesie, und so sehr man seine Stimmeschätzt, in dieser Phase seiner Karriere war Winwood schwer zu verstehen. Die wichtigste Änderung bei Barleycorn ist die enorme Verbesserung der kompositorischen Fähigkeiten, Winwoods Kompositionen auf diesem Album zeichnen sich alle durch starke Themen, eine solide Balance und stabile Strukturen aus, die viel Abwechslung innerhalb des Themas ermöglichen. Capaldis Beckenarbeit ist hervorragend, seine schimmernden Töne ergänzen die schönen Klänge des Klaviers. Nach einem dynamischen Höhepunkt, bei dem wir bemerken, wie Winwood die Frequenz der Noten reduziert, verlangsamt sich der Rhythmus bis zum Kriechen, während die Orgel aus dem tiefen Hintergrund hervortritt und das Stück den Eröffnungsschlag von Freedom Rider markiert. Woods ausgedehntes Soli ergeben eine seiner lebendigsten Darbietungen, und aus kompositorischer Sicht bildet der Kontrast zwischen den freudigen Flügen der Flöte und den bedrohlichen Tönen des Saxophons ein intensives Wechselspiel zwischen Stimmungen, was das Gesamterlebnis noch interessanter macht.
Die Stimmung viel wichtiger als der Text, und Freedom Rider ist ein fantastisches Stimmungsstück.
Der auffälligste Unterschied in Empty Pages ist das Erscheinen einer dröhnenden Bassgitarre, die Winwood kompetent spielt. Die einleitende Verzierung zeigt die Struktur, die im Refrain verwendet wird, eine weitere solide kompositorische Entscheidung. Obwohl der mäandernde Text wenig zum Stück beiträgt, ist die ausgedehnte Instrumentalpassage ein absolutes Vergnügen, mit einigen starken Riffs von Winwood am E-Piano, solider Orgelunterstützung von Wood und einer geschickten, abwechslungsreichen Darbietung von Capaldi am Schlagzeug. John Barleycorn Must Die hat einen einzigartigen Sound und repräsentiert Einflüsse von Jazz bis Folk. Die Musikalität und das Spiel auf dieser Platte sind erstklassig, während der Fusion-Stil aus Jazz, R&B, Rock und sogar Folk stellenweise sehr groovig ist, besonders während der freien Jam Breaks, in denen Winwood besonders gut zur Geltung kommt.
The Low Spark of High Heeled Boys ist ein Album, das man sich immer wieder anhören kann, das jedoch selten in den Bestenlisten auftaucht.
Ruhig und mit einem mystischen Folk-Song startet die Platte als eine Ode an die Natur mit Hidden Treasure. Im Vordergrund stehen Chris Woods Flöte und die Akustische Gitarre von Winwood. Es heißt, er habe Wood im Sinn gehabt, als er Hidden Treasure schrieb; der Saxophonist war bekannt für seine Vogelbeobachtungen, Landschaftsskizzen, seine Liebe zu Karten und geführte Touren zu den Ley-Linien, Schreinen und Steinkreisen des alten Britanniens. Woods melodische Flötenphrasen wurden selten besser als in diesem Song und den längeren Stücken Many A Mile To Freedom und dem volkstümlichen Schlussstück Rainmaker. Er ist ein Kolorist, der einzigartige Triller, die nie wieder auf die gleiche Art gespielt werden können, in das Klanggeflecht von Traffic einwebt. Auch Hidden Treasure brilliert durch einen rhythmisch anders aufgestellten Refrain. Die Flöte, Gitarre und Percussion solieren parallel zueinander und auch das macht den Reiz eines guten Openers aus.
Songs wie Rainmaker und Hidden Treasure klingen wie ein entspannter Jam und die subtilen Strukturen erschließen sich erst nach wiederholtem Anhören. Der 12-minütige Titelsong ist eine unheimliche, klagende Erkundung der Launen des tourenden Rock’n’Rollers. Capaldi schrieb den Text mit all seinen Bandkollegen im Hinterkopf. Die Phrase low spark of high-heeled boys stammt übrigens von Charakterdarsteller Michael J. Pollard, bekannt auch dem B-Movie Bonnie & Clyde von 1967. Dies ist die Stimmung, die Pollard empfand, nachdem er Traffic 1970 in Marokko traf. Capaldi hat die Beschreibung nicht vergessen. Winwood improvisiert durchgehend auf einem eindrucksvoll gespielten Piano, wobei ein unglaubliches Orgelsolo die zweite Hälfte des Songs dominiert. Gordons Schlagzeugspiel ist erstaunlich, es ist vollgestopft mit improvisierten Rimshots, Wirbeln und Beckenakzenten, die das Ganze auf ein höheres Niveau heben, als es sonst gewesen wäre. Auch Reebop Kwaku Baahs ist nicht ohne, seine Congas ergänzen Gordons detailreiches Trommeln auf wunderbare Weise. Die Strophe des Liedes schwebt träge dahin, als hätte sie kein bestimmtes Ziel. The Low Spark Of High Heeled Boys ist ein Traffic-Jam par excellence, von vorne bis hinten, von der ersten bis zur letzten Sekunde eine der längsten Nummern, welche die Briten im Studio zusammen gebracht haben. Bei dem ersten Date mit diesem Stück, steckte es voller Sensationen und heute ist immer noch eine große Faszination geblieben. Tatsächlich endet das Lied nie, es wird nur immer leiser…
Von Seltenheitswert ist, dass Jim Capaldi für zwei Tracks die Lead Vocals übernahm. Es unterstreicht die Bedeutung des Schlagwerkers. Er schrieb und singt das sexistische Light Up Or Leave Me Alone singt er mit viel Emotionalität Auch der von Gordon/Grech geschriebene Song Rock & Roll Stew, definitiv eines der rockigsten auf dem gesamten Album und trotz der gewissen Heftigkeit verpasst Winwood dem Track einen jazzigen Anstrich. Beide Stücke rocken und Capaldi ist ein guter Interpret seiner selbst, auch wenn seine Songs ein wenig untypisch für die Gruppe scheinen. In Capaldis Texten finden sich viele Verweise auf das Landleben und die Natur, was angesichts der ländlichen Hintergrundgeschichte von Traffic verständlich ist. Winwoods entspanntes Gitarrenspiel, insbesondere bei Light Up Or Leave Me Alone, schwächt jedoch die Rock’n’Roll-Attitüde ein wenig ab, wodurch diese Songs sich in dieser Album sinnfällig einpassen. Die Rhythmus-Abteilung groovt gut. Die Congas werden über die gesamte Spielzeit des Albums prächtig bearbeitet. Light Up zeigt den Rock-Charakter der Band und Winwoods Gitarrenarbeit ist überzeugend, da sie mit einem Wah Wah-Pedal-Einsatz und einer abermaligen Tendenz zum Jazz vor dem Fade-Out endet. Vortrefflich, was hochkarätige Musiker aus einer solchen Nummer machen können.
Sind die vorher erwähnten Songs, von kürzerer Spielzeit, geht es mit Many A Mile To Freedom zu den längeren Nummern über. Mit feinen Keyboards, Rhythmuswechseln und einer immer wiederkehrenden Wood-Querflöte ist dieses Stück eines der primären Highlights unter den hochklassigen Kompositionen. Winwood tobt sich an der E-Gitarre prächtig aus und in den fließenden Tönen seines Arbeitsgerätes finden sich sowohl rockige wie einige bluesige Noten.
Den Abschluss des Original-Albums bildet Rainmaker. Abermals ist es im ersten Teil Woods Querflöte, die in das Lied einleitet und darüber hinaus diese beschwörerischen Männerstimmen. Dann wenige lautere Gitarrenriffs, gefolgt von einem herrlich verfremdeten Violinen-Part. Ric Grech bekommt die Gelegenheit, ein Violinsolo zu spielen (sein erstes erlerntes Instrument), was das faszinierende Mysterium um den Regenmacher noch vertieft. Und wieder ein Takt-Wechsel… das Saxofon übernimmt die Führungshand und Winwood soliert auf der E-Gitarre geradezu psychedelisch, wobei andere Hände kräftig über die Felle der Congas fliegen.
Die Fantasie entgeht dem Hörer nicht, wie es vielleicht am Anfang der Fall war, aber es erfordert konzentrierte Konzentration, um die Nuancen und Feinheiten voll zu würdigen. Während einige Kenner „Low Spark“ als den letzten glorreichen Schuss einer großartigen britischen Rockband interpretieren, sehen andere das Album als einen Neuanfang. Die losen, etwas undefinierten Strukturen von Hidden Treasure und Many a Mile to Freedom setzen bereits die Stimmung für das nächsten Album.
Traffic hat mich wirklich gefesselt. Ich liebte sein Hammondorgelspiel und die Subtilität und Dramatik seiner Stimme.
Glenn Hughes
Shoot Out at the Fantasy Factory ist das sechste Studioalbum von Traffic, das 1973 veröffentlicht wurde. Der unbestrittene Kern der Combo waren Steve Winwood, Jim Capaldi und Chris Wood, aber fast jedes Album, das sie herausbrachten, hatte eine andere Rhythmusgruppe. Die Qualität blieb erstklassig, aber es gibt kaum eine stilistische Kontinuität zwischen den Alben. Das in Jamaika aufgenommene Album ist keine Ausnahme. Der Band schlossen sich Bassist David Hood und Schlagzeuger Roger Hawkins an, beide aus den Studios in Muscle Shoals, Alabama, wo Capaldi mit ihrer Hilfe sein Soloalbum aufgenommen hatte.
Das Album beginnt mit dem knallharten Titelsong, bei dem Winwood an der Gitarre zu hören ist, einem Instrument, auf dem er immer stark unterschätzt wurde, und Chris Wood an der Flöte, aber es sind die Perkussionsinstrumente, die den Song vorantreiben. Der Titeltrack enthält einige von Winwoods aggressivsten Gitarrenspielen und eine perkussive Darbietung von Kwaku-Baah, die zeitweise hypnotisierend ist.
Roll Right Stone ist ein 13-minütiges Epos, es erinnert im Aufbau an den Titeltrack des Vorgängeralbums „Low Spark“. Bei „Roll Right Stones“ hat der Sänger „das Weltraumzeitalter vor Augen“ und die technologischen Fortschritte der Menschheit hat ihn in Erstaunen versetzen, aber die Steine, die seine Vorfahren umgaben, sind heute noch unter uns. Dies funktioniert über die Länge, weil ein komplexes Arrangement vorliegt, das Klavier und Orgel wirkungsvoll mischt, während Hood und Hawkins die Dinge sanft und straff darunter leiten. Man wartet die ganze Zeit darauf, dass Wood loslegt, aber jedes Mal, wenn er die Chance bekommt, mit seinem Saxophon etwas Adrenalin zu spritzen. In der zweiten Hälfte, wenn Gitarre und Orgel losjammen, kommt der Titel in so richtig Fahrt. Winwood ist wieder an seinen Keyboards, diesmal hauptsächlich am Klavier, und es ist eine seiner klassischen Gesangsdarbietungen. Zu Beginn erzeugt der Song das gleiche langsame Feeling wie auf „Low Spark of High-Heeled Boys“, was ihn zu der Art von Stoner-Rock macht, für den Traffic bekannt war.
„Evening Blue“ beginnt mit einem langsamen, von der Orgel getragenen Groove-Stück mit einem weiteren großartigen Winwood-Gesang. Es ist eine akustische Ballade, mit einem feinfühligen Saxofon-Einsatz, die auf einer Akustikgitarre und Winwoods Gesang basiert, welcher wieder zu seiner charismatischen Kompetenz zurückgekehrt und bringt reumütig die traurige Zeile zum Ausdruck
If I had a lover whose heart was true, I wouldn’t be alone in this evening blue.
Wieder einmal hat Wood die Chance, mit seinem Saxophon den anderen die Show zu stehlen. Das nachdenkliche und dennoch fesselnde Tragic Magic (Woods einziger Songwriting-Beitrag) ebnet den Weg in einem, in dem zwei weitere Mitglieder der Muscles Shoals-Gang als Gast auftreten, Barry Beckett am Keyboard und Jimmy Johnson an der Klarinette. Wood glänzt hell mit seinem Tragic Magic, einem langsamen Funk-Instrumentalstück, das die Gesamtstimmung hebt. Es beginnt mit der Entwicklung einer kühlen, rauchigen Atmosphäre, dann baut sich die Musik kontinuierlich auf, bis sie den Refrain mit einem scharfen, sauberen Bläsersatz erreicht. Es ist ein großartiger Track, da Wood während der gesamten Melodie endlich einige verspielte, befriedigende Soli entfesselt.
Im abschließenden Sometimes I Feel So Uninspired sind bluesige Klänge angezeigt. Der Song beschließt das Album mit einem mitreißenden Gesangsstück von Winwood und seinem gelungenen Gitarrensolo. Hier haben Winwood und Capaldi eine Melodie geschrieben, die ein Gefühl perfekt beschreibt, das alle Künstler irgendwann in ihrem Leben befällt. Es ist keine Depression, kein Burnout und keine Erschöpfung. Es ist keine Faulheit, Sinnlosigkeit oder Frustration. Es ist genau das, was sie sagen: Ein lähmender Mangel an Inspiration. Wenn es eine Schwäche in der Darbietung gibt, dann liegt es an Steves Entscheidung, ein weiteres Gitarrensolo zu spielen, er hätte sich mit seinen mitreißenden Hammondorgel-Rides vielleicht emotionaler und einprägsamer angehört. „Shoot Out“ ist ein Versuch, in neue und räumlichere, wenn auch etwas mehrdeutige Bereiche vorzudringen. Das Album wirkt auf den Hörer wie eine zusammenhängende Suite.
Musikalisch lässt sich Traffic nicht genau einordnen. Es ist eine einzigartige Fusion so vieler unterschiedlicher Stile, was die eine Hälfte der Freude ausmacht; die andere Hälfte ist das Mysterium, wie es die Combo mit den wechselnden Besetzungen von Anfang bis Ende so wunderbar hinbekommt. Fast alles, woran Steve Winwood beteiligt war, hatte etwas für sich, aber in all den Jahren hatte er seine besten Momente mit Traffic, mit zeitlichem Abstand lässt sich hören, wie gut diese Musik gealtert ist.
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John Barleycorn Must Die, Traffic 1970
The Low Spark of High Heeled Boys, Traffic 1971
Shoot out at the Fantasy Factory, Traffic 1973
Weiterführend → Der Musikkritiker Ben Watson bezeichnet Zappas Mothers of Invention als „politisch wirksamste musikalische Kraft seit Bertolt Brecht und Kurt Weill“ wegen deren radikalem, aktuellen Bezug auf die negativen Aspekte der Massengesellschaft. So besehen war Frank Zappa neben Carla Bleys Escalator Over The Hill einer der bedeutendsten und prägendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Die Komponistin führt uns vor Ohren, dass Improvisation ein gesellschaftspolitisches Idealmodell ist. Andere Nebenwege starten mit der Graham Bond Organisation, dem Blues… und diese Abwege münden in suitenartigen Kompositionen. Musikalisch konnte man seinerzeit auch Traffic nicht genau einordnen. „Extrapolation gilt heute als eines der klassischen Alben des britischen Jazz, auf dem „Jazz und Rock paradigmatisch fusioniert“ werden.“, schrieb Ulrich Kurth. Das Album dürfte neben Hot Rats von FZ für den Beginn des Jazz-Rock stehen.Es ist eine einzigartige Fusion so vieler unterschiedlicher Stile, was die eine Hälfte der Freude ausmacht; die andere Hälfte ist das Mysterium, wie es die Combo mit den wechselnden Besetzungen von Anfang bis Ende so wunderbar hinbekommt. Wenn man bedenkt, wie frei von allen Konventionen Soft Machine aus Canterbury klang, seit sie den Titel des Cut-up-Romans von William S. Burroughs angenommen hatte, hätte der Pate ihre Hinwendung zu den sich wandelnden Jazzformen zu Beginn der 1970er Jahre wahrscheinlich begrüßt. Fast alles, woran Steve Winwood beteiligt war, hatte etwas für sich, aber in all den Jahren hatte er seine besten Momente mit Traffic, mit zeitlichem Abstand lässt sich hören, wie gut diese Musik gealtert ist. Zu hören ist auch auf „Bitches Brew“ ein kollektives Musizieren, das Miles Davis als einen Komponisten erweist, der individuelle Freiheit mit respektvollem Zuhören vereint. Aus dem schillernden Klangbild der Lounge Lizards brechen reizvolle Statements hervor. Anton Fier belebt ein groovendes Energiefeld mit abstrakter Vieldeutigkeit. Spannend sind John Luries freidenkerische Dekonstruktionen der Jazz-Strukturen; Fake Jazz erscheint plötzlich als das Eigentliche!