Pop-Schamanismus

 

Beuys als popschamanen zu beschreiben ist vielleicht abgeschmackt, doch wenn einer weniger als ein künstler sein wollte und mehr als ein mensch war, kann man das alte zeichen wohl benutzen, bis verständigere zeiten ein neues, weitläufiger und genauer, bereit halten, um einen erzvater des hydrozäns zu deuten. Im übrigen sah er sich selbst widerwillig berufen, und bis zum scharlatanisieren in reporterpausen stimmt das bild. Der Krieg berief ihn, wenn auch anders als seine legende vom eingepackt in filz und fett geretteten und der metallplatte im schädel; zum halbkrüppel haute ihn der krieg, und er traf sich, die wenigsten wissen es, bis zum schluß in der spartiatenschwitzhütte seiner staffelkameraden: fliegen, landschaft, zerstört, im überblick des kartographen, das Saint-Ex gefühl, rausch ohne pilze, prägten seine aura. Alle elemente sind beisammen: der heiler, der übergang, der kosmische witz, wie jener teebeutel, der gar nichts bedeutet, außer im kasten zu hängen: aber Daß kästen hängen — Die hasengräber mit den angeblich versteckten fünfmarkstücken sind nur allzu bekannt. Aber was ist höhere Magie, wenn nicht die Honigpumpe der Dokumenta? sie issst kunst, sie umschließt kunst, sie hebt kunst auf. Sie ist organ, symbol, parodie. Beuys ist sie innen und außen, alpha und omega. Ja, er predigte mit seinen kniffen, den punkt wo tödlicher spaß und lebendiger ernst sich treffen: kreuze, holz, ein kathedralbauer in trance. Erster wunderrabbi des jahrtausends, gründete er die Grünen mit, verband was an Kategorien brach lag. Er starb an den spätfolgen seiner berufung im heißen eis auf der krim. Seit ihm treibt, wer nur kunst treibt, weniger als kunst. Er flickte sich für die welt zum ganzen menschen zusammen – genug, Ihr versteht, oder laßt es.

 

 

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Pop-Schamanismus von Thomas Nöske und HEL, edition GALERIE VEVAIS; 1. Auflage Januar 1999

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Eine faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.