(Seinem treuen Freund Moritz Seeler)
Hans Heinrich, der liebenswürdige Parodiendichter und Schauspieler, trug vor einigen Tagen zum wiederholten Male dem entzückten Publikum seine Verse vor; nun schenkt er sie in einem Buch aufbewahrt allen denen, die Freude an seinen Gedichten hatten. Bunte lachende Schelme, geschmückt mit Rittersporn und Rosmarin taumeln über seine Lippen liebentlang, keinem der Heimgesuchten und Versuchten verletzend auf die Nerven fallend, aber sicher ihr Ziel erreichend. Ein schwärmender Prinz Carneval ist Hans Heinrich, ein gerüsteter Pierrot, begleitet von seinem Knappen, der ihm das Rosenblatt trägt.
Auf der Düne, die weit ins Meer führt, begegnete ich dem entschlossenen siebzehnjährigen, abtrünnigen Hans Heinrich, er widersetzte sich standhaft seiner Familie und antwortete auf ihre Forderungen in Knittelverschen, die er den einzelnen Mitgliedern in Knallbonbons übersandte. Nur seiner Mutter Zustimmung zum Schauspielerberuf gewann der hingebende Jüngling durch Küsse.
Wir gründeten am Strand des Ozeans eine Filiale des Deutschen Theaters; das heißt, wir trafen uns gemeinschaftlich mit noch einigen verlorenen Söhnen und Töchtern zur Tausendundeinernachtstunde und spielten Shakespeares »Richard«, den »Carl Moor« und eigene Räuber. Aber auch Ibsens Gestalten wußte Hans Heinrich wundervoll zu beleben. In seiner Glanzrolle der »Hedda Gabler« bewunderte ich ihn allabendlich, er erinnerte mich an den japanischen Schauspieler des asiatischen, künstlerischsten Schauspielvolks, das, indem es die weibliche Hauptrolle vom »Schauspieler« darstellen läßt, mit doppelt kraftvollem Akkord das femine betont und zu gleicher Zeit entwirklicht. Den schlanken, weiblichen, jungen General, die Tochter Gablers spielt Hans Heinrich charmant, gebieterisch und voll Charme. Er kann die älteste Exzellenz seinen Vater im Grabhimmel doch nicht verleugnen.
Das Meer rauschte unaufhörlichen Beifall, wenn auch ohne Ovationen, es brachte keine Muscheln von der Reise mit, Seeteufelchen und Spuk, Wasserspielzeug, wie die Nordsee, wo ich dem Hans Heinrich schon einmal begegnete, in der Sonne gelähmt im Wagen sitzend. Alle Leute verwöhnten den schönen Jungen mit den traurigen feinen Augen, die blaue Spur lassen. Namentlich die Frauen, die er aber auch wie ein Süßweinkenner bis in den kleinsten Tropfen richtig beurteilt. Ich denke gern an unsere Streiche in Warnemünde, wenn wir die schlafenden Badegäste durch Scheinbrände in Panik versetzten. Am liebsten bestiegen wir die Kanzel der Dorfkirche, unsere Gedichte einem andächtigen Mütterchen vorzutragen, das mit frommem Besen und seligem Staubtuch den Altar und die Bänke säuberte. Sie glaubte an unsere frommen Verse wie an den heiligen Christophorus, der das Kind, »die Welt«, erklärte uns die liebe, armselige Frau, auf dem Rücken trage. Und sie lobte unsere Predigten, die so weich aus unserem Munde kämen.
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Essays von Else Lasker-Schüler. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin. Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin 1920
Weiterführend → Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.