Die Sprache trägt das Leben

 

Die Sprache transportiert dich durch alle deine Zeiten, die noch kommen. Ihr Material sind Laute und Zeichen, zusammengefunden in einem vereinbarten Schein der Bedeutungen. Rätselnd schiebt dich die Sprache durchs Leben, und sie schickt dich vor, für sie alle Vereinbarungen auszukundschaften, die einmal andere dir entreißen werden, wenn du dich selbst vergessen haben wirst. Jeder Buchstabe birgt alle nur möglichen und vorstellbaren    Welten. Es ist schwer, dem Gemüt seinen eigentümlichen Laut abzulocken. Deine Sprache ist das Bild deines Fortschreitens ins Wünschen hinein, in dem Du irgendwann verschwinden wirst. Aber wenn du mit Steinen auf den Mond zielst, wirfst, wirfst, mit Steinen nach dem Mond, immer wirfst, wirfst, bis im Mondlicht ein Wall entsteht, der wandern muss, um alles zu verdunkeln, wenn Du wirfst, wirfst, mit Steinen nach dem Mond, ohne jemanden zu verletzen, dann…. Einmal wirft der Mond dir seine Sprache zurück. Kaltes Zeug, ungekochtes Material, das Angst und Ironie bedeuten kann,    aber du nimmst diese Nachrichten und formst sie um im beginnenden Tageslicht, an einem Sonntag auf der Erdseite deines Antipoden. Du kannst mit Steinen nach dem Mond werfen, immer wieder, mit Steinen die in eine Mundhöhle passen, nach dem Mond werfen, werfen, werfen, irgendwann wird ein Stein nicht mehr zurückkommen und dort oben liegenbleiben. Aber es wird eine winzige Stelle geben, dort oben, einen Flecken, der das kleine Mondlicht auf dem Weg zur Erde verschweigen und verbergen wird.

Das Material der Sprache ist immer roh, und erst durch deine Stimme findet es    seine Konsistenz und füllt sich auf mit Versuchen, dich verständlich zu machen, die nie enden werden, solange du hier bist.    Scheitern ist der Normalfall, aber Vergeblichkeit ist nicht umsonst.    Du kannst das Material der Sprache bis in den Tod hinein modellieren, du kannst es aber auch allein durch den Klang deiner Stimme zum Weltbotschafter küren, ohne selbst erkannt zu werden. Das Material muss kalt gehalten bleiben, sagte ein Dichter, der Freude am Vorübergehen fand, wenn ihn das Material der Sprache erfüllte. Das Material ist    die Spur zum Allerweitesten mit größter Nähe zu dir, Spur, Transportmittel, Ziel und Versprechen auf dein Weiterleben zugleich, Sirene und Notbeleuchtung. Oft ist es das Zucken einer Unterlippe, das der bloßen Klinge die Spitze bricht. Iss das Eisen solange es heiß ist. Die offenen Ausgänge der Leiber – als Sprache sind sie am Ende vernichtend. Aber das zwischen Lippen entwichene Wort, die    zwischen zwei Fingern geführte Spitze, die sich auf unerklärliche Weise in unsichtbare Bilder übersetzt, Geist und Geister beflügelt, das ist da,    ist Material mit wachsenden Präsenzräumen zwischen dir und den anderen Lebendwesen. Immer ist es einer, der nicht spricht, aber sieht und hört. Oder einer spricht und sieht, hört aber nicht. Sprich la-la- la-laut-ter! Man müsste im Ofen singen können wie die Jünglinge im Alten Testament! Aus dem mitgeschickten Material ihrer Laute gegen alle Visionen dieser Sekunde wirst du das Glossolalied heraushören. Einer spricht und hört, aber was er mit seinem Sehvermögen an Gesprochenem und Gehörten zusammenschließt, hätte deinem Bewusstsein entweichen und hier ankommen können. Da lösen die Bäume sich von den Begriffen, denn unsagbar ist der tägliche Wortschatz wertvoll! Iss das Eisen solange es heiß ist. Gerät nicht das stolze Wild an die Futterkrippen seiner Jäger, wenn es hungert? Sing das Glossola-lie-lied,    denn die Flut schäumt nicht so bald um die versengten Spitzen aller Frißvögel, die sterben müssen.    Immer verhakt sich ein Schnabel im Mechanismus des Ofen-Verschlusses, und ein Gelächter weit über die Ebenen der ersten Stunde flieht. Ineinanderverdichtete Echos, die zu einem einzigen Wort zusammenfinden, das uns ewig unübersetzbar bleiben wird.

 

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Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd