Das Buch auf solche Weise aufzuschlagen, so daß es winkt wie ein gedeckter Tisch, an dem wir mit all unseren Einfällen, Fragen, Überzeugungen, Schrullen, Vorurteilen, Gedanken Platz nehmen.
Walter Benjamin
Zuhören, Lesen und Schreiben sind aufeinander bezogene und einander bedingende Kulturtechniken. Zuhören ist eine aktive Zuwendung auf das zu Hörende und in diesem Sinne ist Zuhören zwischen Künstlern stets eine Handlung. In einem Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus beschreibt A.J. Weigoni, wie er gleichsam in einem Initiationsritual zum Schriftsteller wurde:
Manche Künstler werden frühzeitig für ihr Leben geprägt, bei mir vollzog sich das so: Meine erste Publikation entstand auf Vermittlung eines Kollegen an einen Drucker der alten Schule. Bei diesem Schriftsetzer durfte ich im Satzkasten nach Bleilettern suchen und sie zeilenweise anordnen. Nachdem das Gedicht gesetzt war, habe ich den ersten Druck von der Presse abgezogen. Meine erste Veröffentlichung, ein Gedicht, Bleisatz auf Bütten in limitierte Auflage
Schreibakte und Leseszenen sind weitere aufeinander bezogene Techniken, man kann fast von einer janusköpfigen Leseschreibtechnik sprechen. Weigoni erhielt den ersten Einblick in das gestalterischen Ansatzes und ästhetischen Verständnisses, die darin konsequent und exzellent umgesetzt werden. Seither nimmt man Bücher gerne zur Hand, Inhalt und Form bilden eine Einheit. Niemand erfindet das Rad neu, wenn man beginnt, ein Buch zu gestalten, steht schon vieles fest. Alle in Frage kommenden Schriften sehen sehr ähnlich aus, die Textzeilen verlaufen von links nach rechts und werden von oben nach unten gestapelt, die Seiten haben eine Zählung und werden nach links weitergeblättert. Diese Konventionen sind spätestens seit dem Ende des 15. Jahrhunderts unverändert und das Grundmodell hat sich bewährt. Wer Bücher gestalten will, sollte sich in die Buchgeschichte einlesen und landet früher oder später bei Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg.
Lesen ist Schreiben ist Lesen ist Schreiben ist Lesen ist Schreiben
Gertrude Stein
Ein Buch muss keinen Nutzen haben. In der Zeit des Digitalen erlebt die Frage nach der Materialität von Literatur eine neue Blüte. Wie kaum eine andere Galerie in Deutschland hat ‘Der Bogen’ in Arnsberg immer Wert auf die handwerkliche Erarbeitung von Künstlerbüchern gelegt. Diese Aura der Einmaligkeit reicht von den Materialbüchern des Jürgen Diehl, über die Schland-Box von Peter Meilchen, bis hin zu Hieronymus und Weigonis Erkundungen über die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung, der Verstetigung von Schrift, Pinsel und der Drucktechnik.
Hier findet sich eine Vielfalt des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht.
Das Äußere eines Künstlerbuches spiegelt die geschichtlichen und sozialen Entwicklungen wider. Bei der Frage zu Gestaltung der Bücher in der Edition das Labor ging die Redaktion z.B. auf die Frage „Warum Times?“ Sie ist in der Buchgestaltung stets ein schlagendes Argument; die Beweislast liegt immer beim Veränderer. Serifen machten das Schriftbild reicher und wärmer und ihre Verwendung sei vertraut; auch bieten sie dem Leser Orientierungshilfen.
Diesseits des Virtuellen
KUNO interessiert sich für das magische Quadrat der Typographie als Formel der Beziehung zwischen Schriftart, Schriftgröße, Laufweite und Zeilenabstand. Zahlreiche Gestaltungsbeispiele finden sich in der Buchreihe der Edition. Jede Kleinigkeit bringe dem Leser den Text näher, mache das Buch schöner und das Lesen müheloser. Für eine gute Durchgestaltung des Buches ist das rechte Maß der Beziehungen zwischen Innenteil und Äußerem nötig. Für die Gedichtbände von Weigoni gelten eigene Regeln, sie wurden gedruckt in einer modifizierten Garamond. Der Künstler Georg von der Gathen gestaltete dafür die die neue Ligatur „ue“. Man darf das als Schule der Wahrnehmung bezeichnen, als Aufforderung, die Lyrik mit Respekt zu betrachten.
Ein Buch ohne Druckfehler ist unanständig.
V. O. Stomps
Mit dem Holzschnitt präsentiert Haimo Hieronymus eine Drucktechnik, er hat ihn auf die jeweiligen Cover der Gedichtbände von Weigoni gestanzt. Bei dieser künstlerischen Gestaltung sind Gebrauchsspuren geradezu Voraussetzung. Man kann den Auftrag der Farbe auf dem jeweiligen Cover haptisch nachvollziehen, der Schuber selber ist genietet. Und es gibt keinen Grund diese Handarbeit zu verstecken, die Aura des Handgemachten paßt zum Genre der Lyrik wie ein Handschuh.
Gibt es eine Analogie von Handschrift und Hirnschrift?
Das Künstlerbuch ist ein überaus sinnlicher Gegenstand – und was im Zeitalter der Wischbildschirme übersehen wird – ein dreidimensionales Behältnis. Es soll gerne angeschaut und angefaßt, gerne in die Hand genommen und in ihr gehalten, gewogen werden. Sensorik, Haptik, Ästhetik sind ausgesprochen wichtig. Jeder kennt das Vergnügen, seine Nase tief in das Innere eines neu erworbenen Buches zu stecken, am Papier zu schnuppern und über Seiten und Einband zu streichen. Es ist die ewige Suche nach den sinnlichen Lesearchipelen.
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Unbehaust ist erschienen bei: uräus-Handpresse / Postfach 11 06 05 / 06020 Halle
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421