Er sitzt im Auto, fährt auf der Autobahn von a nach b, von Essen nach Siegen vielleicht. Er hat keinen festen Termin, muss nur ankommen, muss die Ware abliefern. Ware im Wert von 280.000 Euro, richtig gute Ware. Ein irgendwie gutes Gefühl. Wer könnte anderes behaupten. Eine CD läuft inzwischen das dritte Mal, schöne Frauenstimme, die ihn einhüllt, wie in eine warme Wolldecke, zwei Staus zwischendurch. Man sollte sie endlich einmal wechseln, nicht die Decke, die CD, allerdings findet sich keine andere im dafür vorgesehenen Fach. Da hilft alles nichts, er steigt auf Radio um, vielleicht findet sich ja ein halbwegs vernünftiger Sender, der nicht ganz unerträglich ist. Und tatsächlich hier ist einer, kaum Musik, viele Informationen, erst Wirtschaft, dann mal Politisches oder über das Studium und dessen Möglichkeiten. Eine intelligente Sendung über Trivialkultur, über Bücher, über die aktuelle Forschung, das gefällt Herrn Nipp. So erhält man immer neue aktuelle Wissensstände. So kommt man sich als Teil der geistigen Elite vor. Auch die Autobahnmeldungen sind recht ordentlich, wenn auch deutschlandweit. Einmal kann er sich nur freuen, weil direkt hinter ihm ein Stau entstanden sein muss.
„Vorsicht auf der A45 ab Meinerzhagen in Richtung Siegen. Auf einer Länge von zwei Kilometern liegen Bilderrahmen auf der Fahrbahn.“
Herr Nipp denkt noch, wie eingeschränkt der Transporteur sein müsse – wenn man Bilder transportiert, dann müssen die sorgfältig gesichert werden, sonst gibt es Macken und Beulen. Schließlich geht es hier um hohe ideelle und materielle Werte. Die nächste Sendung im Radio beginnt, da werden aktuelle Bücher vorgestellt. Gute Kritiken, üble Verrisse. Teilweise wird zitiert. Der Moderator verurteilt mit süffisantem Tonfall, nein er urteilt ab, die ersten Ränge der Bestsellerliste gehen seiner Meinung nach gar nicht. Hämisch. Für den Reißwolf und intellektuell Minderbemittelte verfasste Belletristik. Herr Nipp grinst, ja, das macht ihm helle Freude, dass endlich einmal Minderleistungen in aller Öffentlichkeit abgestraft werden. Leider dauert die Sendung nur 23 Minuten. Dann wieder Nachrichten und Verkehrsfunk. Der eben angedachte Stau hat inzwischen fünf stattliche Kilometer Länge erreicht. Wirklich Glück gehabt. Zehn Minuten später kommt Herr Nipp an seinem Ziel an, gutgelaunt, weil gut, sehr gut unterhalten. Die Galeristin wartet schon ungeduldig. Sie möchte die Arbeiten des berühmten koreanischen Malers in Augenschein nehmen, wird an der Hand zum Anhänger geführt, wie ein Mädchen. Die Tür steht sperrangelweit auf, kein Bild zu sehen. Hoffentlich wird das niemals bekannt werden.
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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019
Weiterführend →
Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.